Karlspreis 2025

Karlspreis 2025


© picture alliance / Markus Schreiber

Begründung des Direktoriums der Gesellschaft
für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen
an die Präsidentin der Europäischen Kommission
Dr. Ursula von der Leyen

I.
„Europa wird in Krisen geschmiedet und wird die Summe der Lösungen sein, die für diese Krisen gefunden wurden“ (Jean Monnet).
Die Europäische Union wird bedroht – von außen durch den Aggressionskrieg Russlands, von innen durch Demagogen, Rassisten, Antisemiten, Anti-Europäer.
Das europäische Lebensmodell von Freiheit, Frieden, Demokratie und Wohlstand ist gefährdet.
Da zeitgleich die europäische Wirtschaft und Wissenschaft dringend einen Innovationsschub brauchen, zudem auch die transatlantische Partnerschaft für Sicherheit und Verteidigung, Handel und Stabilität gefestigt werden muss, ist eine starke, geeinte Union gefordert.
Die Weltordnung verändert sich und Europa muss handeln.
Ursula von der Leyen ist die Persönlichkeit, der diese strategische Aufgabe für die Europäische Union zukommt und die sie bewältigt.
Sie ist die europäische Führungspersönlichkeit, die starke Stimme Europas in der Welt, die in einer Zeit epochaler Herausforderungen die Interessen Europas und seiner Freunde kraftvoll wahrnimmt. Sie ist auch die Führungskraft, die aufgrund der im Amt erworbenen Anerkennung in der Lage ist, die bestehenden und künftigen Aufgaben zu meistern.

Für ihre Verdienste um die Einheit der Mitgliedstaaten, die Eindämmung der Pandemie, die Geschlossenheit des Verteidigungswillens gegen Russland und die Impulse zum Green Deal einerseits sowie zur Ermutigung gegenüber den anstehenden Aufgaben ehrt das Direktorium der Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises die Präsidentin der Kommission der Europäischen Union mit der Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen im Jahr 2025.

II.
Ursula von der Leyen wird am 8. Oktober 1958 im Brüsseler Stadtteil Ixelles geboren. Ihr Vater, der spätere niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, arbeitet zu dieser Zeit als Kabinettschef des deutschen EWG-Kommissars Hans von der Groeben, avanciert später zum Generaldirektor für Wettbewerb bei der Kommission. Als er in den niedersächsischen Landtag gewählt wird, zieht die Familie Anfang der 1970er Jahre nach Ilten bei Hannover.

Nach dem Abitur studiert die 18-Jährige zunächst Archäologie und Volkswirtschaft, bevor sie sich 1980 für die Medizin entscheidet. 1987 legt sie, inzwischen mit dem promovierten Mediziner Heiko von der Leyen verheiratet, ihr Staatsexamen ab, erhält kurz darauf ihre Approbation und arbeitet fortan als Assistenzärztin an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). 1991 wird sie selbst promoviert; von 1992 bis 1996 lebt sie mit ihrer Familie in Kalifornien, wo sie sich an der Stanford University als Gasthörerin weiterbildet. Ein späteres Aufbaustudium schließt sie 2001 an der Universität Hannover
als „Master of Public Health“ ab und arbeitet anschließend weiter an der MHH.

Bereits seit 1990 Mitglied der CDU, wechselt sie als „Seiteneinsteigerin“ in die Politik, erringt 2003 ein Mandat im niedersächsischen Landtag und wird von Ministerpräsident Christian Wulff als Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit in dessen erstes Kabinett berufen. 2005 wechselt sie als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in die Bundespolitik; 2009 übernimmt sie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Schließlich wird sie 2013 als erste Frau zur Bundesministerin der Verteidigung berufen und vier Jahre später in diesem Amt bestätigt.

III.
Am 2. Juli 2019 wurde Ursula von der Leyen für das Amt der Kommissionspräsidentin nominiert. Und es gelang ihr, die Mehrheit des Parlaments für ein ausgesprochen anspruchsvolles und ehrgeiziges Programm zu gewinnen.

Mutig und ambitioniert waren die Ziele, die sie sich für die Arbeit der kommenden fünf Jahre gesetzt und für die sie sechs Prioritäten genannt hatte:

  • „eine Wirtschaft im Dienste der Menschen“, die für soziale Gerechtigkeit und Wohlstand sorgt;
  • „den europäischen Green Deal“, die Entwicklung eines neuen Wachstumsmodells, das sich auf eine saubere Kreislaufwirtschaft stützt – mit dem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden;
  • „ein Europa für das digitale Zeitalter“, das sicherstellt, dass die Gesellschaft von den neuen Technologien profitiert, durch Innovation noch wettbewerbsfähiger wird;
  • „ein stärkeres Europa in der Welt“, das in höherem Maße Verantwortung übernimmt und für Multilateralismus und eine auf Regeln beruhende Ordnung steht;
  • „die Förderung der europäischen Lebensweise“, die von den gemeinsamen Werten und der Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit geprägt ist; und hiermit verbunden
  • „neuem Schwung für die Demokratie“.

Doch kristallisierte sich schon rasch heraus, dass die EU mit Herausforderungen ungeahnten Ausmaßes konfrontiert war.

IV.
Nachdem am 31. Dezember 2019 der Ausbruch einer neuen Lungenerkrankung im chinesischen Wuhan bestätigt wurde, konstatierte die WHO schon kurz darauf eine weltweite Pandemie, der binnen weniger Monate mehr als eine Million Menschen zum Opfer fielen.

Die Kommission übernahm die Verantwortung für eine koordinierte europäische Impfstrategie, trug maßgeblich dazu bei, dass die Finanzierung der Entwicklung wirksamer Impfstoffe abgesichert wurde und so binnen weniger Monate nicht nur die Europäerinnen und Europäer Zugang zu mehreren Milliarden Covid-19-Impfdosen hatten, sondern auch Entwicklungsländer hiermit versorgt wurden.
Als die Schutzimpfung es erlaubte, die massiven Einschränkungen der Freizügigkeit zu lockern, sorgte das digitale EU-Covid-Zertifikat dafür, dass sichereres Reisen erleichtert wurde.

Mit einem knapp 100 Mrd. umfassenden Darlehensprogramm zur Finanzierung von Kurzarbeits- und Freistellungsregelungen in der EU wurden ab 2020 über 30 Mio. Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Selbstständige und mehr als 2,5 Mio. Unternehmen unterstützt. Schließlich stellte die Kommission mithilfe des Wiederaufbaufonds NextGenerationEU sicher, dass die Wirtschaft nicht nur die unmittelbaren Folgen der Pandemie überwand, sondern auch langfristig gestärkt wurde.

V.
Als Russland die Ukraine im Februar 2022 mit einem brutalen Angriffskrieg überzog, setzte der Diktator im Kreml auch auf die Uneinigkeit der Europäer. Vergeblich. Vielmehr konnte Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union im September konstatieren, dass sich vom ersten Moment an „ein ganzer Kontinent solidarisch gezeigt“ hat, dass „unsere Union als Ganzes mit der Herausforderung gewachsen [ist]… geeint, entschlossen und schnell reagiert [hat]“: – mit der Aufnahme von mehr als vier Mio. Flüchtlingen aus der Ukraine und der Mobilisierung von mehr als 130 Mrd. Euro, die für humanitäre, wirtschaftliche und militärische Hilfe bereitgestellt wurden u.a.m. Gleichzeitig schnürte die Kommission mehr als ein Dutzend Sanktionspakete gegen den russischen Aggressor und sorgte dafür, dass Gelder der russischen Zentralbank alleine in der EU in Höhe von über 210 Mrd. Euro eingefroren wurden.

Gemeinsam mit Verbündeten weltweit sorgte die EU für die gemeinschaftliche solidarische militärische Unterstützung der Ukraine im Verteidigungskrieg. Schnell auch hatte die Ukraine offiziell den Status eines EU-Bewerberlandes; und im darauffolgenden Jahr wurde die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen beschlossen.

Als sich gleich zu Beginn des Angriffskriegs der Versuch des Kremls herauskristallisierte, die EU mit der Energieversorgung zu erpressen, legte die Kommission noch im Frühjahr 2022 den REPowerEU-Plan vor, mithilfe dessen die Abhängigkeit von der Einfuhr von Kohle, Öl und Gas aus Russland entscheidend verringert wurde. Neben Energieeinsparungen und dem beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien waren es vor allem die koordinierte Diversifizierung von Versorgung und Versorgungswegen und die Einrichtung einer EU-Energieplattform, über die die Union die Nachfrage nach Erdgas bündelte und so die Verhandlungsposition europäischer Unternehmen auf den Weltmärkten stärkte, mithilfe derer die größte Energiekrise seit Jahrzehnten überwunden werden konnte.

VI.
Ursula von der Leyen und die von ihr geführte Kommission haben ganz entscheidenden Anteil daran, dass die EU Krisen epochalen Maßes geschlossen und erfolgreich begegnet ist.
Gleichzeitig sind globalen Trends folgend extreme nationale Vorstellungen, die Abkehr von der globalen Welt und dem Multikulturalismus, antidemokratische Tendenzen und Antisemitismus, zudem Demagogie, Hass gegen alle etablierten Strukturen und politischen Institutionen gewachsen.

Bei den Wahlen im Juni 2024 erzielen die Anti-Europäer deutliche Gewinne, jedoch können die demokratischen Parteien die Mehrheit behaupten.
Ursula von der Leyen erklärt: „Die Mitte hält“ und, vom Europäischen Rat alsbald erneut als Kommissionspräsidentin nominiert, gelingt es ihr, weite Teile der pro-europäischen Mitte des Parlaments, Christ- und Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, hinter sich zu vereinen und eine deutliche, komfortable pro-europäische Mehrheit herzustellen.

Dank von der Leyen und ihrem geschickten diplomatischen Agieren hat Europa die Gegner, Zweifler und Skeptiker in die Minderheit drängen können.

Wettbewerbsfähigkeit, Verteidigung, strategischer Zusammenhalt und Bürokratieabbau sind zentrale Forderungen ihres neuen Programms für die laufende Amtszeit.
Mit dem „clean industrial deal“ will sie die europäische Industrie wieder wettbewerbsfähiger machen, die Regeln industriefreundlicher gestalten und die klimapolitischen Ziele einhalten. Wichtiger Teil ihrer Industriepolitik ist der Kampf um das Überleben der europäischen Autoindustrie.
Detaillierte und insoweit von der Wirtschaft kritisierte Vorschriften wie das EU-Lieferkettengesetz, die Nachhaltigkeitsberichterstattung und die EU-Taxonomie sollen für Wirtschaft und Unternehmen flexibler gestaltet werden.

Insgesamt will sie eine Kommission der Investitionen und eine deutliche Fokussierung auf die Wettbewerbsfähigkeit. Mit der Ausarbeitung von wesentlichen Handlungsempfehlungen hatte sie dabei den vormaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi beauftragt, der im September 2024 den „Bericht über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit“ vorlegte – eine umfassende Analyse der Herausforderungen und Chancen, zugleich der strategischen Ansätze zur Förderung von Wachstum
und Stabilität, die es nun umzusetzen gilt.
Handelspolitisch erfolgte ein erster Schritt durch den Abschluss der EU-MERCOSUR-Verhandlungen und des EU-Schweiz Abkommens.

Von der Leyen weiß, dass es zur wirtschaftlichen Sicherheit Europas eines transatlantischen Zusammenhalts bedarf. Dazu ist nach veränderten politischen Strukturen in den Vereinigten Staaten jetzt eine besondere strategische Anstrengung der Europäer erforderlich. Wichtigste Voraussetzung zum Gelingen dieser Anstrengungen ist die Einigkeit der Mitglieder. Für diese Einigkeit kämpft sie wie kein Zweiter und versucht, die vielen politischen Strömungen innerhalb der EU-Mitglieder inhaltlich zu vereinen und somit die Bedeutung Europas im weltpolitischen Geschehen zu stärken.
Für die Gestaltung der Partnerschaft wird sie auf Augenhöhe verhandeln und die europäischen Interessen mit Nachdruck verfolgen.
Ursula von der Leyen hat Europas demokratische Mitte neu formiert, damit die EU handlungsfähig ist und selbst in weltpolitischen Fragen die Anliegen der europäischen Bürgerinnen und Bürger bestens vertreten kann.

VII.
Mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Frau Dr. Ursula von der Leyen, ehrt das Direktorium der Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen 2025 im Jahr seines 75-jährigen Bestehens eine herausragende Führungspersönlichkeit des Vereinten Europas, die die Union visionär, mutig und handlungsstark, mit Entschlossenheit und Weitsicht durch eine Zeit tiefgreifender Transformationen leitet.
Mit der Auszeichnung will das Karlspreisdirektorium die Präsidentin auch in ihrem Willen ermutigen und bestärken, die EU als bedeutende Kraft in der globalen politischen Welt zu vertreten, sie als friedensstiftende, demokratisierende und partnerschaftliche Macht zu führen, Europa als Wertegesellschaft zu stärken und durch eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit dafür Sorge zu tragen, dass das große Friedensprojekt Europa auch sein Versprechen des wirtschaftlichen und sozialen Wohlergehens für seine Bürgerinnen und Bürger halten kann.