Europa 2.0: Wer, warum und wohin?
Wachstum, Bildung und digitale Infrastruktur als Voraussetzungen für ein stabiles Europa
Aachen, 28.05.2014. Am Vortag der Karlspreisverleihung an den Präsidenten des Europäischen Rates Herman Van Rompuy trafen sich rund 90 europäische Spitzenvertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und den Medien zum alljährlichen Karlspreis-Europa-Forum: Das Motto 2014: „Europa 2.0: Wer, wohin und warum?“
Marcel Philipp, Oberbürgermeister der Stadt Aachen, eröffnete die Konferenz mit der Einschätzung, dass es angesichts der europäischen Finanzkrise, der Spannungen in der Ukraine und der aktuellen Ergebnisse der Europawahl keinen spannenderen Zeitpunkt für das Forum hätte geben können.
Den kompetenten Part des Moderators der Veranstaltung übernahm Martin Winter, Journalist und vormaliger EU-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Brüssel. Seine Frage an die Runde der hochkarätigen Referenten „Wo stehen wir? Wo müssen wir hin?“
Prof. Dr. Koen Geens, belgischer Finanzminister, forderte gleich zu Beginn eine gemeinsame europäische Sozial- und Steuerpolitik sowie die Schaffung der Position eines europäischen Finanzministers. Dieser müsse seine ganze politische Kraft für Europa einsetzen können und dürfe daher nicht zeitgleich für die Finanzpolitik des eigenen Landes zuständig sein.
Nur wenn es gelänge, dass Wirtschaftswachstum deutlich zu beleben, könne das Vertrauen der Bürger in die Glaubwürdigkeit der Europäische Union wieder gestärkt werden.
Der Präsident der Europäischen Investmentbank (EIB), Dr. Werner Hoyer, stellte fest, dass die Schaffung der europäischen Währungsunion der dritte Schritt vor dem ersten gewesen sei. Die damalige Annahme, eine vorgezogene Währungsunion werde den Druck auf die politisch Verantwortlichen so erhöhen, dass daraus die politische Union folgen würde, habe sich als falsch erwiesen. „Die Krise ist konzeptionell überwunden. Sie ist jedoch erst beendet, wenn alle eingeleiteten Maßnahmen auch erfolgreich abgeschlossen sind und in Europa wieder kontinuierliches Wachstum und hohe Beschäftigung herrschen“, so Werner Hoyer.
„Es gibt ein Leben nach der Krise“, so der EIB Präsident weiter. Nun gelte es, die Brücke von den kurzfristigen Maßnahmen zu den langfristigen Konzepten zu schlagen.
Auch Brian Ager, Generalsekretär des European Round Table of Industries (ERT) in Brüssel, stellte das Wirtschaftswachstum in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Nur Wachstum schaffe Arbeitsplätze und führe zu höheren Reallöhnen. Europa müsse zudem aufpassen, nicht den internationalen Anschluss zu verlieren. Eine um 25% niedrigere Produktivität im Vergleich zu den USA, fehlende Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung sowie ein nur schleppender Ausbau der digitalen Infrastruktur bereiteten ihm große Sorgen.
„Gesellschaftliche Stabilität ist ohne wirtschaftliche Stabilität nicht möglich“, konstatierte Dr. Andreas Martin, Mitglied des Vorstandes des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR). Nur ein stabiler Euro sei der Garant für Wachstum und Beschäftigung. Er plädierte für eine gemeinsame europäische Fiskalpolitik und forderte die konsequente Weiterentwicklung der europäischen Verträge nach ordnungspolitischen Grundsätzen. Nur so könne die Wettbewerbsfähigkeit Europas gestärkt werden. Zum Abschluss stellte er fest, der Tiefpunkt der Krise sei überwunden, der Patient EU sei jedoch noch nicht gesund.
Der Spanier Luis Alvarado Martinez, Gewinner des Jugendkarlspreises 2013, machte sich in einer Gesprächsrunde zwischen Karlspreis- und Jugendkarlspreisträgern am Nachmittag des Forums für die Direktwahl der europäischen Spitzenkandidaten in allen Ländern der EU und die Einführung transnationaler Listen stark. Am besten schon bei der nächsten Europawahl 2019. Zum Thema „Die Jugend ist die Zukunft Europas“ stellte er klar, dass die die nationalen und europäischen Investitionen in Bildung drastisch erhöht werden müssten. „Jugend ist nicht Zukunft. Sie ist die Gegenwart!“
Jean-Claude Trichet, vormaliger Präsident der Europäischen Zentralbank, forderte nachdrücklich eine Stärkung des Europäischen Parlaments. Und György Konrád, Karlspreisträger 2001, rief eindringlich dazu auf, Europa als friedenssichernde Maßnahme zu verstehen.
Weiterer Höhepunkt und Abschluss des Karlspreis-Europa-Forums war das traditionelle Vorabenddinner zu Ehren des Karlspreisträgers Herman Van Rompuy, bei dem der vormalige italienische Ministerpräsident Dr. Enrico Letta die Tischrede hielt.