Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Verleihung des Internationalen Karlspreises an Timothy Garton Ash am 25. Mai 2017 in Aachen
Vor fast vierzig Jahren fährt ein kleiner blauer Alfa Romeo vom Grenzübergang in Helmstedt auf der Transitstrecke durch die DDR in Richtung Berlin. Am Steuer ein britischer Student, der sich strikt an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält. Was heute – auf der A2 – bekanntlich nicht alle tun. Doch dort, wo wir jetzt wie selbstverständlich vom Lappwald in die Magdeburger Börde hinunter brausen, war damals unser Land geteilt. Der Student ist nervös. Beim Fahren summt er Lieder von Wolf Biermann vor sich hin – und fragt sich, ob die Stasi nicht auch das Auto verwanzen könnte. Ganz daneben lag er damit nicht, fast hellseherisch: Seine wenig später angelegte Akte sollte „Romeo“ heißen, eine neidvolle Anspielung der Stasi-Offiziere auf eben diesen kleinen blauen Alfa Romeo.
Verehrte Gäste: Diese Autofahrt führte direkt hinein in den Wirbel der europäischen Zeitgeschichte, und der Fahrer hat sich vom Wirbel erfassen und mitreißen lassen. Er wurde Europas Zeuge, Europas Chronist und Europas Gefährte. Wie kein anderer hat er Europas Wachsen und Werden in den letzten vier Jahrzehnten erlebt, erforscht und beschrieben. Er ist Wissenschaftler – mit großer Akribie und einer einmaligen, oftmals verblüffenden Beobachtungsgabe. Und zugleich ist er leidenschaftlicher Kommentator, der sich in die politische Realität hinauswagt und persönlich an ihr teilnimmt. Es ist mir eine große Freude, diesen einzigartigen Weg, der ihn heute nach Aachen führt, in meiner Rede ein wenig nachzeichnen zu dürfen. Aber zuallererst, lieber Timothy Garton Ash: meinen herzlichen Glückwunsch zur Verleihung des Internationalen Karlspreises!
Aber wir müssen noch einmal zurück zum Alfa Romeo und uns bewusst machen, wie außergewöhnlich das eigentlich ist, was da vor sich ging. Ein 23-jähriger Doktorand möchte sich für seine historische Forschung in die Berliner Archive eingraben. Nun weiß jeder hier im Saal, der einmal eine Dissertation zu schreiben hatte, wie leicht einem lauter gute Gründe einfallen, die Bibliothek zu verlassen: die interessante Kommilitonin etwa, eine wichtige Demo oder die nächste WG-Party. Ich erinnere mich gut. Aber hier ist ein 23-Jähriger, der seine Bücher deshalb zuklappt, weil er spürt, dass ihm der Atem der Geschichte direkt ins Gesicht weht!
Weltgeschichte im Präsens zu erleben – das war für Sie immer das größte Glück. Sie haben es einmal wunderbar auf den Punkt gebracht und gesagt: „There is nothing to compare with being there“.
Als Student der Geschichte wussten Sie: Kein Reich der Weltgeschichte hat ewig überdauert – und auch dieses wird nicht ewig überdauern. Als Historiker spürten Sie früher als andere, dass die sowjetische Diktatur bröckelte – und als Brite waren Sie näher am Widerstandsgeist in Berlin, Prag, Warschau und Budapest als die meisten in Westdeutschland, selbst denen von uns, die wir Ende der 1980er Jahre die Ereignisse auf den Straßen Leipzigs, Ost-Berlins und anderswo mit heißem Herzen verfolgten und fürchteten, ein Eingreifen der NVA würde dem Ganzen ein baldiges und möglicherweise blutiges Ende bereiten. 1989 lag ich in meiner Gießener Dachkammer in den letzten Zügen meiner Doktorarbeit, einer juristischen allerdings, als meine WG-Genossen mich aufgeregt runter an den Fernseher riefen: Das Unglaubliche war geschehen, in Berlin war die Mauer gefallen.
Während die meisten von uns Geschichte als chronos erfahren, also erst rückblickend erfassen und einordnen, haben Sie Ihren kairos, Ihren Moment, ergriffen – lange vor 1989. Im Jahr 1980, zwei Jahre nach der Überfahrt nach Berlin, saßen Sie in einer winzigen Warschauer Küche – Helena Łuczywos Küche. In dieser Küche trafen sich Dissidenten und Mitglieder der Solidarność, organisierten den Widerstand und publizierten eine Untergrundzeitung. Jahre später – Polen war endlich ein freies Land – war Helena, Ihre Weggefährtin von damals, stellvertretende Chefredakteurin der berühmten Gazeta Wyborcza. Das alles haben Sie hautnah miterlebt. Beim Lesen Ihrer Texte riechen wir beinahe noch den Rauch der von Westfreunden eingeschmuggelten Roth-Händle, und wir hören das dauerklingelnde Telefon. Lieber Herr Garton Ash: Sie saßen im wahren Wortsinn am Küchentisch der Weltgeschichte, und dank Ihrer wunderbaren Texte dürfen wir daran teilhaben.
Diese Tuchfühlung ist es, die Ihrem Schreiben eine Authentizität und Autorität verleiht, wie wir sie in politischen Analysen selten sehen. Auch weil Sie die strenge Trennung zwischen den Disziplinen der Geschichtswissenschaft, des Journalismus und der Literatur verlassen haben, hat Ihr Werk eine ganz eigene politische Wirkmacht entfaltet. Für Deutschland kann ich sagen, was sicherlich in Polen und bei unseren östlichen Nachbarn ähnlich gilt wie auch in Ihrem eigenen Land: In unserem Denken über Europa steckt bis heute ein ganz großes Stück von Garton Ash.
In Berlin – so haben Sie in Ihrem Buch „Die Akte Romeo“ geschrieben – war Ihr liebster Zufluchtsort ein Pfarrhaus in Pankow. Der Dichter Reiner Kunze hatte Ihnen bei einer Lesung in London davon erzählt. In diesem Pfarrhaus trafen sich Oppositionelle – Künstler und Intellektuelle wie Reiner Kunze und Adolf Dresen, Kirchenleute wie Ruth und Hans Misselwitz – und suchten nach Wegen zur Freiheit. Sie diskutierten selbst mitternachts noch, beim Baden im Wandlitzsee. Es war das Pfarrhaus Ihres Freundes Werner Krätschell. Lieber Herr Krätschell, wie schön, dass Sie heute zu uns nach Aachen gekommen sind. Herzlich Willkommen!
Sie haben mir erzählt: Als eines sonnigen Nachmittags dieser junge Mann in Ihrem Pfarrgarten stand, wussten Sie ihn kaum einzuordnen, denn sein Aufzug war für damalige Ost-Berliner Verhältnisse doch eher ungewöhnlich: Cordhosen, Tweedsakko, Einstecktuch. Jedoch, lieber Timothy Garton Ash, diese Begegnungen im Pfarrhaus sollten Einfluss haben – auf Ihr weiteres Leben und auf Ihr Werk. Aber vielleicht stehen diese Begegnungen ja auch beispielhaft für die Begegnung der Freiheitssehnsucht in West und Ost, die Jahre später endlich im vereinten Europa zusammenkommen sollte. Wir müssen uns vorstellen: Da steht ein junger Mann in Pankow, ein Spross der englischen Elite, geprägt in Sherborne und Oxford, belesen von John Stuart Mill bis Isaiah Berlin. Er stammt aus dem Schoß der Freiheit – aber dort in Ost-Berlin, im System der Unfreiheit, trifft er in einem Pfarrhaus auf Menschen, die von einer mindestens ebenso großen Freiheitsliebe beseelt sind wie er selbst. Vielleicht war es dieser Moment – so hat es mir Ihr Freund erzählt –, in dem Sie vom Briten zum Europäer geworden sind.
Diese Erfahrung und die Erfahrung von unzähligen weiteren Begegnungen im östlichen Europa haben Sie in den Westen mitgebracht und vielen von uns die Augen geöffnet. Ihre Dissertation über die Nazizeit ließen Sie kurzerhand links liegen, stattdessen haben Sie ein Buch über die DDR geschrieben, in dem Sie uns im Westen zuriefen: „Hey, da drüben, hinter dem, was Ihr ‚Eisernen Vorhang‘ nennt, auch da pulsiert ein lebendiges, wunderbares Stück Europa.“ Dieses Buch passte natürlich Erich Mielke nicht in den Kram – der höchstpersönlich für Ihr Einreiseverbot in der DDR sorgte. Aber es passte vielleicht auch nicht ins Bild vieler derjenigen im Westen, die nur an die Veränderbarkeit der Gesellschaft von oben glaubten, und denen in der Fokussierung auf das Gespräch mit den Machthabern im Ostblock die Freiheitssehnsucht und das Veränderungspotenzial von unten aus dem Blick geriet.
Lieber Timothy Garton Ash, im Schlusswort Ihres aktuellen Buches schreiben Sie: „Wir brauchen einen realistischen Idealismus und einen idealistischen Realismus.“
Ich glaube, das gilt ganz besonders für Europa. Denn seit Sie und ich auf der Welt sind, ist das vereinte Europa doch immer beides gewesen: eine Realität, aber auch ein Ideal.
Und Sie, lieber Timothy Garton Ash, stehen für beides: Sie sind Chronist der Realität Europas, seines Wachsens und Werdens und auch seiner Widersprüche. Und zugleich sind Sie leidenschaftlicher Verfechter der Idee von Europa, von Freiheit und Aufklärung und Demokratie.
Und dass seit jenen Tagen im Pfarrgarten so viel vom Ideal Europas zur Realität Europas geworden ist, das sollten wir über den manchmal mühsamen europäischen Alltag nicht vergessen, sondern hier und heute in Aachen miteinander feiern!
„Wer hätte 1989 gedacht“, haben Sie sehr viel später gesagt, „dass Ost- und Mitteleuropa einschließlich der baltischen Staaten mehr oder weniger liberale Demokratien würden, Mitglieder der NATO und der EU? Das ist ein politisches Wunder.“
Ich finde, Sie haben recht – und deshalb frage ich uns: Warum fehlt uns eigentlich heute so oft der Mut, an eben solche Wunder zu glauben? Und vor allem auch der Mut, dafür zu arbeiten, dass sie wahr werden? Die Lebenserfahrung von Timothy Garton Ash und seiner mutigen Freunde in Mittel- und Osteuropa zeigt uns doch: Der Weg der europäischen Einigung, der Weg von der Idee zur Wirklichkeit, dieser Weg ist zwar nicht linear, aber er steht offen, er ist möglich!
Vielleicht liegt es in der Natur der Sache, dass auf diesem Weg – je mehr von der Idee in die Wirklichkeit kommt – die Realität zunehmend unser Blickfeld dominiert. Heute stehen natürlich die handfesten Realitäten der Europäischen Union im Mittelpunkt unserer Wahrnehmung: die Institutionen, die Prozesse, die mühsame Suche nach Kompromissen. Was uns aber nicht passieren darf, ist, dass darüber die große Idee hinter der Krise verschwindet. Dass die Krise uns so sehr in die Augen blendet, dass die enorm lange Wegstrecke in der Ferne verblasst, die wir zurückgelegt haben, seit Europa nichts als eine verwegene Idee auf den Ruinen des Krieges war. Daran zu erinnern, Mut zu schöpfen aus der Geschichte und zugleich mit schonungslos klarem Blick auf die Gegenwart zu schauen – das ist das Markenzeichen von Timothy Garton Ash – und das ist eben nicht nur historische Analyse, sondern auch ein Appell an Europas Regierungen: „Schaut auf das Kostbare, was Europa erreicht hat – verspielt es nicht, überwindet die Krise!“ In diesem Geiste reiht sich Timothy Garton Ash ein in die illustre Reihe der Karlspreisträger – und für diesen Geist steht auch der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments. Schön, dass auch Du heute hier bist, lieber Martin Schulz!
Man erspürt viel von Garton Ashs „idealistischem Realismus“, wenn er in seinen Kolumnen die Entwicklungen in den Staaten Mittelund Osteuropas beschreibt, denen er so tief im Herzen verbunden ist. Herr Garton Ash: Wenn Sie heute die politische Realität in Ungarn, zuletzt auch in Polen, kritisch beschreiben, wenn Sie den Finger in Wunden bei Freiheit und Rechtsstaatlichkeit legen, dann tun Sie das, weil Sie wissen, welche ungeheure Anziehungskraft die europäische Idee gerade dort gehabt hat und weiterhin hat. „Im Namen Europas“ – so heißt ihr wunderbares Buch – im Namen Europas sind ja die Mutigen in Danzig, Leipzig, Budapest, Warschau und Prag auf die Straße gegangen. Im Namen Europas haben sie ihre Stimme erhoben und ihr Leben riskiert.
Und diese Anziehungskraft bleibt! Wir spüren sie bis heute auf den Plätzen Europas: Wir sehen Menschen, die sich in Europaflaggen einhüllen, wenn sie in Bukarest gegen Korruption oder in Budapest für die Wissenschaftsfreiheit, in Warschau für die Gewaltenteilung oder in Deutschland gegen den Populismus auf die Straße gehen. Und wir erleben sie, wenn Menschen wie Sie, verehrter Karlspreisträger Györgi Konrád, sich damals wie heute nicht mundtot machen lassen, sondern laut und deutlich für Europa Partei ergreifen. Schön, dass auch Sie heute hier sind, lieber Herr Konrád!
Eine andere Realität, über die Sie zuletzt viel zu schreiben hatten, ist der Mehrheitswille der Briten, die EU zu verlassen. Ich will es gleich vorneweg sagen: Auch hier bewundere ich, wie Sie die intellektuellen Tugenden, die Sie als Oxford-Don ihren Studenten vermitteln, selbst an den Tag legen: klar und schonungslos, auch gegen sich selbst. „Meine größte politische Niederlage“ haben Sie über den Brexit gesagt, und Sie haben auch mit ihrem persönlichen Schmerz nach dem Referendum nicht hinterm Berg gehalten.
Lieber Herr Garton Ash, wir rufen Ihnen heute zu: Sie bleiben bei uns – was auch immer britische Referenden entscheiden. Und da ich von Realität und Ideal gesprochen habe – das soll für Sie und uns kein Entweder–Oder sein. Für mich steht jedenfalls fest: Sollte Großbritannien eines Tages nicht mehr zur Realität der EU gehören, es bleibt immer Teil der europäischen Idee. Das britische Erbe von Liberalität und Demokratie und Aufklärung ist für Europas Selbstverständnis unverzichtbar – und wenige stehen dafür so beispielhaft wie Timothy: mit seiner Lust an der Debatte und dem Glauben ans bessere Argument, seinem Humor und bestechenden Intellekt – und, ja, den wunderbaren handgemachten Lederschuhen. Sie stehen für all das Beste an Großbritannien, was wir in der EU vermissen werden, was zu Europa aber immer gehören wird. Und deshalb sagen wir Ihnen heute, lieber Timothy Garton Ash: Wir wünschen uns, dass Sie Europa erhalten bleiben. Europa braucht Ihren klugen, liberalen Geist!
Ist es nicht bezeichnend, dass es ein Brite war, der nur ein Jahr nach Kriegsende zum ersten Mal die Idee vom vereinten Europa formuliert hat? Es war ein früher Karlspreisträger, Winston Churchill, in seiner Züricher Rede an Europas Jugend. Und zur ganzen Wahrheit gehört, dass er jedenfalls Großbritannien nie als Teil des institutionellen Gefüges, der institutionellen Realität Europas gesehen hat.
Heute, 70 Jahre später, steht Großbritannien vor genau dieser Perspektive: sich aus der Realität des vereinten Europas wieder zurückzuziehen – wenn nicht in eine „splendid isolation“, dann doch in eine „splendid distance“. Aber wir bleiben Nachbarn, wir bleiben auf ewig eng miteinander verflochten. Deshalb muss sich Großbritannien die Frage stellen: Welche Rolle will es zukünftig spielen? Zurück zum alten Spiel der Balance of Power – zum misstrauischen Austarieren des Kräftegleichgewichts? Zum argwöhnischen Blick auf die Großen des Kontinents und ihr Verhältnis zueinander?
Ich wünsche mir etwas anderes: ein Großbritannien, das über die alte Realpolitik hinausschaut, das Teil der europäischen Idee bleibt und ihr Geltung verschafft in der Welt. Denn die Idee Europas, die Herrschaft von Recht über Willkür, von Freiheit über totalitäre Ideologie, die bleibt auch ein britisches Anliegen – und eine weltpolitische Aufgabe. Doch bin ich mir sicher, dass wir dieser Idee nur gemeinsam Kraft verleihen können in der Welt – die Nation allein, an die Churchill wohl noch glaubte, kann es nicht mehr. Wir brauchen Sie, lieber Timothy – lassen Sie uns die gemeinsamen Kräfte mobilisieren.
Lieber Timothy Garton Ash,
als Akademiker, als Intellektueller, haben Sie sich nie damit zufrieden gegeben, über Ihre Ideen nur mit Ihresgleichen zu reden. Im Gegenteil: Vom jungen „Edward Marston“ – Ihr Pseudonym im Spectator – bis zum weltberühmten Kolumnisten im Guardian war Ihr Anliegen immer, eine große Bandbreite der Gesellschaft zu erreichen – und zu überzeugen.
Der Brexit war ja auch ein Alarmsignal dafür, dass in unseren Gesellschaften etwas auseinanderdriftet – und zwar längst nicht nur in Großbritannien. Ich fürchte: Wäre die Demokratie ein Zug, dann hätte dieser Zug derzeit immer weniger Großraumwagen und immer mehr Klassen und Abteile. Darin liegt eine große Gefahr – gerade aus Sicht eines Intellektuellen: Wir reden nicht nur nicht mehr miteinander – es droht sogar, dass wir die gemeinsame Sprache verlieren. In diese Debatte haben Sie, lieber Herr Garton Ash, sich gerade erst mit einem fulminanten Buch eingemischt – mit dem Titel „Redefreiheit“.
Ich finde: Von dieser Einmischung brauchen wir mehr! Gerade in einer Zeit, in der die Freiheit und der Wert der Wissenschaft in Frage gestellt werden, da sollen die Intellektuellen, die Wissenschaftler und Universitäten ihre Stimme erheben und ihre wichtigste Freiheit, die Redefreiheit, verteidigen gegen diejenigen, die sie einschränken wollen. Deshalb gilt mein Appell ihnen: Macht es wie der junge Garton Ash – bleibt nicht am Schreibtisch sitzen! Auch der Elfenbeinturm kann eine Echokammer sein.
Ich weiß, das erfordert Mut. Dem Mut haben Sie, lieber Timothy, das letzte Kapitel Ihres neuen Buches gewidmet. Diesen Mut brauchen wir heute, in ganz Europa, und nirgendwo finde ich ihn so glänzend geschildert wie in Ihrem wunderbaren Text „As If“ – „als ob“. Irgendwann in den 1980er Jahren diskutierten Sie mit Ihren Freunden von der Opposition in Polen und fragten voller Anteilnahme: „Sagt mal, wäre Euer Leben nicht erträglicher, wenn Ihr Euch ein bisschen mehr anpassen würdet?“ Und Ihr Freund Adam Michnik zog an seiner Roth-Händle und sagte: „Ich lebe jeden Tag, ‚as if‘ – als ob ich in der Demokratie leben würde. Nur so kann ich aufrecht bleiben.“
Heute leben wir in ganz Europa in Demokratien und dennoch bleibt das „as if“ ein mahnender Auftrag. Demokratie und Freiheit ihr Recht zu verschaffen – ich finde, das ist ein starkes, ein ermutigendes, ein notwendiges Wort an alle, die heute in Europa mit Veränderungen, mit Krisen und Repressalien zu leben haben: as if! Niemals und nirgendwo in Europa dürfen wir uns daran gewöhnen, dass die Freiheit, die Kernidee von Europa, wieder von Machtinteressen zerstört wird.
Sie, Herr Garton Ash, werden mit gespitzter Feder darüber wachen. Ihnen gilt unser Dank für 40 Jahre Arbeit an Europa, und wir sagen aus tiefster Überzeugung: herzlichen Glückwunsch zum Karlspreis zu Aachen 2017!