"Laßt Europa auferstehen!" Mit diesen Worten hat Sir Winston Churchill im September des Jahres 1946, wenig mehr als ein Jahr nachdem der Lärm der Waffen in Europa verstummt war, seine Ansprache an die studentische Jugend in Zürich beendet.
Aus diesen Worten spricht die Erfahrung des Mannes, der am Ende seiner Memoiren aus dem ersten Weltkrieg schrieb: "Ist dies nun das Ende" Sollen unsere Kinder dereinst wieder auf verwüsteten Ländereien verbluten und verröcheln, oder soll ein Frühling aufsteigen aus den Gluten des Krieges die drei gewaltigen Kämpfer zusammenführen, auf daß ihr Genius sie verbinde in Sicherheit und Freiheit, und der stolze Bau Europas sich von neuem glanzvoll erhebe."
Nahezu 10 Jahre sind seit den Worten von Zürich vergangen. Ihr Echo ist vernehmlich erklungen aus fast allen Winkeln unseres gequälten Erdteils. Millionenfach ist der Weckruf in bereite Herzen gedrungen. Lauter aber als an anderen Orten war sein Widerhall aus dem Festsaal dieses königlichen Hauses, der oftmals schon Schauplatz europäischer Geschichte gewesen. Die Bürger dieser ehrwürdigen Stadt glauben sich Europa, dessen politischer Mittelpunkt Aachen einst gewesen, vielleicht mehr verpflichtet als andere, Als diese ihre geliebte Heimat in Trümmer gesunken, als die Not am größten war, beschlossen sie durch die Stiftung eines Preises zur Ehrung von Männern, die der Einigung Europas dienen, an historischer Stätte immer wieder den Ruf ertönen zu lassen: "Laßt Europa auferstehen!"
Heute haben wir uns hier erneut versammelt, wo schon fünf male seit dem Jahre 1950 eine solche Preisverleihung vor sich gegangen: zuerst an den großen Europäer Graf Richard Coudenhove-Kalergi und dann weiter an den Niederländer Hendrik Brugmans, an den Italiener Alcide de Gasperi, an den Franzosen Jean Monnet und an den Deutschen Konrad Adenauer. Wenn dieser Karlspreis, ein Zeichen äußerer Anerkennung für das Geleistete, gleichzeitig auch gedacht ist als Ermutigung zu weiterem Fortschreiten auf dem einmal begonnenen Wege, so dürfen wir von allen bisherigen Preisträgern mit Freude sagen, daß sie diese Erwartung voll erfüllt haben; ja, selbst de Gasperi wirkt noch über seinem Erdenleben bemessene Frist hinaus durch die Kraft und Lebendigkeit seines Vermächtnisses in seiner italienischen Nation.
Wer aber wollte leugnen, daß wir in den beiden letztvergangenen Jahren eine Zeit durchmessen haben, die dem Fortschreiten der Idee manchen Schaden zugefügt. Wir wollen nicht anklagen und wir wollen nicht richten, aber wenn wir uns nicht geschlagen geben wollen, dann müssen wir klar erkennen, daß die Todsünde des Nationalismus auch heute nach dieser erschütternden Lektion von Grauen, Leid und Tod noch immer lebt; daß die ihr Verhafteten in allen Ländern ihr Unwesen treiben und - teils bewußt, teils unbewußt - den Fortbestand dieser Erde bedrohen. Diese Gefahr liegt Unheil verheißend über uns allen! Es würde uns angesichts dieser Gefahr vermessen erscheinen, wollten wir diesen festlichen Akt als einen Anlaß zur Freude begehen. Gewiß sind wir beglückt, daß hohe und höchste Gäste in großer Zahl unserer Einladung gefolgt sind; diese Zahl macht es fast unmöglich, sie der Würde ihres Amtes und ihrer Person entsprechend einzeln hier willkommen zu heißen: verzeihen Sie mir bitte, daß ich nur ganz wenige namentlich erwähne: unter diesen an erster Stelle den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland Herrn Professor Theodor Heuss und außer ihm die in Bonn akkreditierten Vertreter zahlreicher fremder Staatsoberhäupter.
Ihre Exzellenzen die Herren Botschafter von Australien, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Indien, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Pakistan, Schweden, der Türkei und der Vereinigten Staaten von Amerika, den Herrn Gesandten von Portugal und die Herren Geschäftsträger von Kanada und Ceylon.
In höchster Ehre stehen an dem heutigen Tage der neuerwählte Karlspreisträger Sir Winston Churchill und neben ihm die bisher mit diesem Preis ausgezeichneten: Graf Coudenhove-Kalergi, Professor Brugmans, Jean Monnet und Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Als Vertreter europäischer Institutionen darf ich willkommen heißen den neu erwählten Präsidenten der Beratenden Versammlung des Europarats, den unserer Nachbarstadt Lüttich entstammenden Herrn Senator Dehousse, seinen Stellvertreter Herrn Bundestagsabgeordneten Kiesinger und den in vielen europäischen Gremien an führender Stelle stehenden Herrn Dr. Pünder, sodann den Präsidenten der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Herrn Ministerpräsidenten a.D. Pella, und den Präsidenten des Beratenden Ausschusses bei der Hohen Behörde dieser Gemeinschaft, Herrn von der Rest. Weiterhin habe ich die Ehre zu begrüßen den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages Herrn Dr. Gerstenmaier, den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundesrates Herrn Ministerpräsidenten von Hassel und den Herrn Präsidenten des Landtages von NRW Herrn Gockeln. Von der Bundesregierung die Herren Vizekanzler Blücher und Bundesminister von Brentano und Dr. Schröder, von der Regierung des Landes NRW die Herren Ministerpräsident Steinhoff, seinen Stellvertreter, Herrn Finanzminister Weyer sowie die Herren Minister Kassmann und Luchtenberg, Wir freuen uns weiterhin der Anwesenheit Sr. Exzellenz des Herrn Bischof von Aachen, Dr. Pohlschneider, der Herren Gouverneure der holländischen Provinz Limburg und der belgischen Provinz Lüttich.
Neben den Erwähnten sehe ich viele andere Gäste, die - teils altbewährte und geschätzte Freunde dieser Stadt, teils erstmalige Besucher - sich alle in die freudige Bewillkommnung durch die Bürger Aachens eingeschlossen fühlen mögen.
Sie alle werden etwas mit uns Aachenern empfinden von diesem Gefühle der Ergriffenheit, die uns überkommt in Betrachtung der Überfülle von Beziehungen, die die Geschichte des Raumes mit dem Sinn dieser feierlichen Stunde verbinden. Nur eine einzige soll hier Erwähnung finden aus dem ganzen Reichtum des europäischen Erbes dieser Stadt: auf italienischen Boden traf Karl der Große auf einen gelehrten Priester, den ersten Diener der Kirche von York: Alkuin, der ihm an seinen Hof zu Aachen folgte, der Aachen "Das andere Rom, diesseits der Alpen" nannte. Sein großer Geist hat dem mächtigen Frankenkönig und späteren römischen Kaiser deutscher Nation durch Jahre ratend und helfend zur Seite gestanden; er war das Haupt des gelehrten Kollegiums am Hofe Karls; er bewahrheitete vor nahezu 1100 Jahren schon einmal auf dem europäischen Kontinent das Wort "Britannia docet".
Die Erinnerung an Alkuin den Briten, dem in Aachen soviel Ehre zuteil wurde, drängt sich uns auf in dem Augenblick, in dem wir uns anschicken, einen anderen Sohn des gleichen Volkes zu ehren, jenen Mann, von dem der Weckruf stammt: "Laßt Europa auferstehen", Sir Winston Churchill. Er, der Sproß des Hauses der Herzöge von Marlborough, der ein Leben lang fünf Souveränen seines stolzen Vaterlandes gedient, hat seinen Namen mit festen Zügen in das Buch der Geschichte eingetragen. Stark und unerschütterlich hat er sich im Augenblick größter Gefahr an die Spitze seines Vaterlandes gestellt. Unerbittlich hat er gekämpft um den Sieg über die Tyrannis. Seine Haltung läßt sich nicht klarer darstellen als mit seinen eigenen Worten: In War: Resolution, in Defeat: Defiance, in Victory: Magnanimity, in Peace: Good Will!
In diesem Saale haben sich nun versammelt Menschen, die auf beiden Seiten dieses Ringens der Völker gestanden. Wer von uns erinnerte sich in dieser Stunde nicht an liebe Menschen, die auf der einen oder anderen Seite in Pflichterfüllung ihr Leben hergaben; wir alle sahen auf dem Wege in dieses Haus die Trümmer; sie sind überall noch sichtbar zwischen den Pyrenäen und der Wolga, von Norwegen bis Sizilien. Noch sind die Wunden nicht verheilt; noch gibt es in allen Ländern Ewiggestrige, die meinen, sie könnten eine Zukunft bauen, indem sie versuchen, über die Vergangenheit zu rechten. Zukunft gestalten kann nur ein neuer Geist. Solcher Geist sprach aus den Worten Sir Winstons, des einstmals unerbittlichen und erbarmungslosen Kämpfers, der dem besiegten Feind die Hand gereicht, um mit ihm zusammen das Haus zu bauen, in dem künftige Geschlechter Wohnung finden sollen. So glaube ich sagen zu dürfen, daß es uns ein Zeichen besonderer Art zu sein scheint, eine Ermutigung für alle, die gewillt sind, an diesem Bauwerk mitzuwirken, daß Sir Winston geehrt werden soll in diesem geweihten Raum, der in deutschen Landen in Ehrfurcht genannt wird, in jenem Deutschland, das mit dem Lande, dessen Dienst der neue Preisträger seine ganze Lebensarbeit geweiht, gerade unter seiner Regierung so lange in heftigstem Streit gelegen.
Als Premierminister hat Sir Winston klare Konsequenzen aus seinen Erkenntnissen gezogen: im Jahre 1954 drohte die soeben erst begonnene europäische Zusammenarbeit zu zerbrechen. Die Verteidigungsgemeinschaft scheiterte und damit war eine fast ausweglos erscheinende Lage geschaffen. Da sprang Großbritannien in die Bresche: statt der für die Verteidigungsgemeinschaft vorgesehenen Beschränkung auf die kontinentalen Signatare kam nun eine militärische Aktionsgemeinschaft unter Einschluß Großbritanniens unter der Bezeichnung Westeuropäische Union zustande. Wer britisches Wesen und britische Geschichte kennt, der weiß, daß eine solche Verpflichtung nur ein Mann vom Format Sir Winstons übernehmen konnte, da diese Bindung weit über das hinausgeht, was das Inselreich dem Kontinent bisheran je geboten hat. Hier hat ein großer Staatsmann sich selbst gedanklich vollkommen vom Herkömmlichen gelöst und es übernommen, seine persönliche überlegene Erkenntnis zunächst im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung des eigenen Volkes durchzusetzen. So dürfen wir sagen, daß in diesen zehn Jahren sein maßgebendes Wort entscheidend darauf hingewirkt, die Solidarität der freien Völker zu ermutigen und die Möglichkeit gemeinsamen Handelns zu stärken. Weg und Ziel lassen sich nicht einfacher, aber auch nicht eindrucksvoller umschreiben, als mit Ihren eigenen Worten, die Sie in Zürich nach Erwähnung der gerade erst überstandenen Schrecken des Krieges und der immer noch drohenden Gefahren sprachen: "Es gibt ein Heilmittel, das allgemein und spontan angewandt die ganze Szene wie durch ein Wunder verwandeln und innerhalb weniger Jahre ganz Europa oder doch dessen größeren Teil so frei und glücklich machen könnte, wie es heute die Schweiz ist. Dieses Mittel besteht in der Erneuerung der europäischen Familie. Wir müssen eine Art Vereinigter Staaten von Europa errichten: Wir alle müssen den Schrecken der Vergangenheit den Rücken kehren und uns der Zukunft zuwenden. Wir können es uns einfach nicht leisten, durch alle die kommenden Jahre den Hass und die Rache mit fortzuschleppen, die den Ungerechtigkeiten der Vergangenheit entsprossen sind. Laßt Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Freiheit walten!
Die Struktur der Vereinigten Staaten von Europa wird, wenn sie richtig und dauerhaft errichtet werden soll, so geartet sein müssen, daß die materielle Stärke einzelner Staaten Bedeutung einbüßt. Kleine Nationen werden soviel wie große gelten und sich durch ihren Beitrag für die gemeinsame Sache Ruhm erringen können.
Sir Winston, repeating the most important sentences of your Zurich speech I just tried to tell this very noble audience for which special motives the Directorate awarded you the International Charlemagne Prize of Aachen. Impossible for me to find better terms for arcusing Europe than you did. You know that this Prize in former years has been awarded to the great European, count Coudenhove-Kalergi, to Professor Brugmans, to the Italian Prime Minister Signor de Gasperi, to M. Jean Monnet and to the German Chancellor, Dr. Konrad Adenauer. You know of the merits of every single one of these men in connexion with European integration. We paid tribute to them in the past years; today we are proud of doing the same to you. this tribute has always been paid in the course of a ceremony, which partly is devoted to the task of encouraging any possible progress on the way of European integration, and here again I quote your own words: "The safety of the world requires a new unity in Europe from which no nation should be permanently outcast."
Well, by awarding the International Charlemagne Prize to you, Sir Winston, the people of the City of Aachen have no other intention than to contribute to the forging of United Europe, noble aim of all men bearing the quality of moral leadership.
Das Programm, das Sie in Zürich aufzeigten, hat Ihr Handeln seither geleitet und dieses Handeln hat Ihre Person in die vorderste Reihe derer gestellt, die - der Zukunft verpflichtet - die Einigung Europas gefördert. Damit stehen Sie aber auch in gleicher Linie mit jenen anderen Männern, denen in der Vergangenheit schon der Karlspreis der Stadt Aachen zuerkannt wurde, und so erklärt sich auch der Beschluß des Direktoriums, Ihnen diesen Preis anzutragen. Mir ist die Ehre zugefallen, Urkunde und Plakette zu überreichen. Die Urkunde hat folgenden Wortlaut: "Der Internationale Karlspreis der Stadt Aachen für das Jahr 1955 wurde am Himmelsfahrtstag des Jahres 1956, dem 10. Mai, im Reichssaal des Aachener Rathauses, der ehemaligen Kaiserpfalz, dem britischen Premierminister in entscheidungsschwerer Zeit, Sir Winston Churchill, verliehen in Anerkennung seiner Verdienste um die Verteidigung des höchsten menschlichen Gutes, der Freiheit, und um den erfolgreichen Anruf der Jugend, die Zukunft Europas durch Einigung zu sichern."