Herr Bundespräsident! Sir Winston! Meine Damen und Herren!
Im Namen der Bundesregierung gebe ich unserer großen Freude darüber Ausdruck, daß Sie aus diesem feierlichen Anlaß in die Bundesrepublik Deutschland in die alte Kaiserstadt Aachen gekommen sind. Gleichzeitig spreche ich Ihnen, Sir Winston, meine herzlichen Glückwünsche zu der Verleihung des Preises aus, den Sie soeben entgegengenommen haben. Der Preis wird verliehen für eine Sache, die auch mir besonders am Herzen liegt, für besondere Verdienste um die europäische Einigung. Hieran haben Sie in besonders vorausschauender und intensiver Weise mitgewirkt. Daß ein Sieger des großen Krieges schon wenige Jahre nach Kriegsende in so kluger, so weit in die Zukunft blickende Weise das zerschlagene und aus tausend Wunden blutende Europa aufruft, sich zusammenzuschließen zu einer Einheit, ist eine staatsmännische Tat, die für sich allein genügen würde, Ihnen einen Platz in der Geschichte zu sichern. Ich darf hinzufügen, daß ich die Tatsache besonders freudig begrüße, daß in diesem Jahr in Ihrer Person ein britischer Staatsmann diesen Preis erhält. Großbritannien ist durch die See von dem europäischen Festland getrennt; es ist manchmal auf beiden Seiten des Kanals der Eindruck entstanden, diese Entfernung sei größer, als sie tatsächlich ist. Wir wissen aber um den Zusammenhang der Geschicke Großbritanniens mit den Geschicken des Kontinents; wir wissen auch, daß gerade die Familie Churchill seit Jahrhunderten aufs engste mit dem europäischen Festland verbunden ist.
Wie ist es gekommen, daß Sie, Sir Winston, zum Vorkämpfer der europäischen Idee wurden? Ich glaube, dies erklärt sich aus zwei menschlichen Eigenschaften, die zugleich notwendige Voraussetzungen staatsmännischen Handelns sind: Größe des Denkens, Tiefe des Fühlens. Im Kriege haben Sie in einem für Ihr Volk und für die Freiheit in der Welt entscheidenden Augenblick den Widerstandswillen Ihres Volkes emporgerissen. Nach dem Kriege traten Sie stets für Versöhnung mit dem früheren Gegner ein und forderten, daß der Sieger dem Besiegten die helfende Hand bot. Ihr Urteil war nicht getrübt durch die Bitterkeit der Vergangenheit. Nach dem Ende des Kampfes haben Sie, Sir Winston, die Bilder der Vergangenheit in sich ausgelöscht. Schon ein Jahr nach dem Ende des zweiten Weltkrieges sprachen Sie die Worte, die Herr Oberbürgermeister Heusch soeben erwähnte, in der Züricher Rede, und die den Weg in eine neue Zukunft wiesen. Sie waren es auch, der das bei der ersten großen Versammlung, der ersten großen europäischen Versammlung im Haag uns Deutsche herangezogen hat, und ich werde niemals die Worte vergessen, die Sie damals im Schlosse zu Haag an meine Landsleute und an mich gerichtet haben. Der Ausspruch, den Sie seinerzeit getan haben, die Proklamation, die Sie erlassen haben, Sir Winston, war in der Tat bewundernswert. Wenn wir inzwischen auf dem Wege, den Sie damals vorgezeichnet, vorangekommen sind, und zwar ein großes Stück vorwärts gekommen sind - ich sage das allen Nörglern und Kritikern zum Trotz, die nicht wissen, wie schwer der Weg naturgemäß sein muß, der zu einer Einigung Europas führt - wenn Sie diesen Weg uns allen so gewiesen haben, so ist das, was wir heute erreicht haben, eine Folge dieser Initiative.
Es sind von dem Herrn Oberbürgermeister dieser Stadt die einzelnen europäischen Einrichtungen erwähnt worden, die seit jener Zeit geschaffen worden sind, und ihre Vertreter sind von ihm begrüßt worden. Ich meine, wenn wir uns das einmal in Ruhe vor Augen halten, was seit jener Zeit alles gewachsen ist - und ich wiederhole es nochmals: allen Schwierigkeiten zum Trotz -, dann können alle guten Europäer der Überzeugung sein, daß die europäische Sache zu einem guten Ende kommt.
Sie haben sich, Sir Winston, auch dafür eingesetzt, daß innerhalb der europäischen Gemeinschaft auch die Freundschaft zwischen dem britischen und dem deutschen Volk besonders gepflegt wird. Ich habe diesen Wunsch von ganzem Herzen geteilt, da die dauernde Freundschaft zwischen unseren Völkern eine unerläßliche Voraussetzung für den Frieden und die Freiheit der Welt ist. Wenn auch die Erbschaft des letzten Krieges noch schwer auf uns lastet und manche ungelösten Probleme mit sich bringt - ich kann Ihnen doch versichern, daß der Wunsch nach Freundschaft mit dem britischen Volk auch in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes von Herzen geteilt wird.
Mit besonderer Freude haben wir alle in Deutschland es begrüßt, daß gerade bei dem letzten Besuch unseres Außenministers in London von der britischen Regierung dieser Wunsch nach einer engen Zusammenarbeit zwischen dem britischen und dem deutschen Volk so außerordentlich unterstrichen worden ist.
Wir alle wissen, daß eine solche Freundschaft der Gemeinschaft aller europäischen Völker dient, und daß sie insbesondere eine Grundlage ist für den Frieden in der gesamten Welt.
Sie haben, Sir Winston, mehrfach der Wiederherstellung der deutschen Einheit in warmherzigen Worten gedacht: auch dafür danke ich Ihnen im Namen des deutschen Volkes von ganzem Herzen.
Ich erinnere mich, Sir Winston, daß ich im Jahre 1953 Sie gebeten habe, uns in Deutschland doch einmal zu besuchen. Sie haben schon damals gesagt, Sie würden kommen. Es kam allerhand dazwischen, und nun hat sich diese große festliche Gelegenheit ergeben, daß Sie mit Ihrer verehrten Gattin zu uns gekommen sind. Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück zu der Verleihung des Europapreises, und ich heiße Sie von ganzem Herzen beim deutschen Volke willkommen.