Sehr geehrte Damen und Herren Staatschefs,
sehr geehrte Damen und Herren Regierungschefs,
sehr geehrter Herr Präsident des Europäischen Rates,
sehr geehrter Herr Präsident der Europäischen Kommission,
sehr geehrter Herr Präsident des Europäischen Parlaments,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, der uns heute hier empfängt,
sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,
meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sie gekommen sind, um Europa und den Karlspreis zu würdigen, der heute an Martin Schulz verliehen wird.
Nach dem Bundespräsidenten bin nun ich an der Reihe, eine Laudatio auf Martin Schulz zu halten, der soeben diesen Preis erhalten hat. Es ist eine echte Herausforderung für mich, denn ich kenne Martin Schulz so gut, dass ich alles über ihn erzählen kann, und doch nicht gut genug, um ihn gebührend zu würdigen.
Aber über die Person von Martin Schulz hinaus ist es eigentlich Europa, das Sie heute loben - nicht dass es hier nichts zu kritisieren gäbe, der Bundespräsident hat erst gerade betont, wie viel mehr die Menschen von Europa erwarten. Aber die Erwartungen sind so groß und dem Ideal, das Europa verkörpert, entspringen so große Herausforderungen, dass wir das europäische Projekt immer neu begründen müssen.
Lange Zeit haben wir Europa als einen fortschreitenden Erweiterungsprozess verstanden, das machte die Kraft der Vereinigung aus. Aber Europa kann nicht nur eine geografische Erweiterung sein, es kann nicht nur eine Vereinigung sein. Es muss für die Bürger Fortschritt und Schutz bedeuten und gleichzeitig für die ganze Welt ein Fanal der Demokratie sein, ein Ort der Solidarität mit den Völkern, die der Demokratie entbehren müssen.
Auch in diesem Jahr würdigt der Preis eine Idee, Europa, ein Prinzip, die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland, sowie eine Persönlichkeit, einen Menschen, der durch seinen Werdegang für die Idee – Europa – und das Prinzip – die deutsch-französische Freundschaft – steht. Aachen ist ein Ort voller Geschichte. Jeder spürt hier den Geist der Anfänge, denn es war hier in Aachen, dass ein Monarch, an dessen Erbe wir alle hier teilhaben, ein Monarch, der zu den damals unsicheren Zeiten noch ein Nomadendasein führte, beschlossen hat, die Hauptstadt des ersten Reiches festzulegen, in dem die europäischen Völker zusammenleben sollten, ob sie wollten oder nicht, geben wir es zu.
Die Stadt Aachen zeugt wie kaum ein anderer Ort von der Fruchtbarkeit einer großen Idee, von der Zusammenführung eines Kontinents, den man sich schon vor über 12 Jahrhunderten vorgestellt hatte. Diese Erinnerung an die Geschichte und Geografie stellt uns vor eine große Frage: Warum waren trotz dieser gemeinsamen Matrix so viele Trennungen und Konflikte, soviel Hass nötig? Warum dauerte es ein ganzes Jahrtausend, bis der Kontinent endlich den Weg der Versöhnung, der Eintracht und der Einheit fand?
Nicht dass es in all den Jahrhunderten keinen Versuch gegeben hätte, nicht dass es keine unerwarteten Wendungen gegeben hätte, aber es gab Bruderkriege, die in die beiden größten Tragödien des vergangenen Jahrhunderts mündeten. Dieses Blutvergießen, das die europäische Idee für immer unter sich begraben hätte können, war also nötig, um einen Akt bewundernswerter Willensstärke zu begehen, damit wir solche Bilder nie wieder sehen, solche Katastrophen nie wieder erleben müssen.
Ehre gebührt all jenen, die diese Klarsicht, diese Kraft, diese Überzeugung hatten. Es war zweifelsohne ein Überlebensreflex, aber man musste auf die ursprüngliche Einheit, für die Aachen ein Symbol ist, zurückkommen, um die Europäische Union aufzubauen zu können.
Ich komme auf diese Region zurück, die damals Lotharingien hieß und aus dem Vertrag von Verdun hervorging. Es existierten damals schon Verträge, aber man legte sie weder den Völkern noch ihren Vertretern vor. Diese Region jedenfalls ist es, die heute Deutschland, Belgien, die Niederlande und Frankreich miteinander verbindet.
Diesen Landstrich, lieber Martin Schulz, kennen Sie gut, denn Sie sind dort geboren. Also war Ihre Zukunft fast schicksalhaft bestimmt. Sie stammen aus einer Kleinstadt im Landkreis Aachen, Eschweiler, und haben auch nur einige Kilometer von hier, in Würselen, mit Ihrem politischen Engagement begonnen. Sehr früh schon übten Sie kommunale Ämter aus und wurden schließlich Bürgermeister.
Als Bürgermeister, also lokaler Mandatsträger, haben Sie Politik dort gelernt, wo Sie gemacht werden muss, nämlich im Dienste der Bürger und mit einem offenen Ohr für ihre Belange. Sie haben den Bezug zu den Bürgern nie verloren, um die falsche Vorstellung aus dem Weg zu räumen, dass jeder europäische Mandatsträger durch die Art, wie er gewählt wird, und durch sein Amt zwangsläufig den Menschen fern ist. Wer Sie kennt, lieber Martin Schulz, weiß, dass Sie eine Brücke bauen zwischen dem, der Sie früher waren und dem, der Sie heute sind – einem Bürger, der einerseits in einer bestimmten Gegend fest verwurzelt ist und andererseits heute das Mandat dafür hat, auf der Ebene eines ganzen Kontinents zu sprechen.
Um von ganzem Herzen Europäer zu sein, muss man einen Sinn für Heimat und eine Verbindung zu einer bestimmten Gegend haben. Keiner ist Europäer, ohne eine Abstammung zu haben. Es gibt keinen Europäer, der von dem Ort, an dem er geboren ist, an dem er arbeitet, an dem er eine Familie gegründet hat, losgelöst wäre. Um ganz und gar Europäer zu sein, muss man ganz und gar von irgendwoher kommen. Und Sie kommen von hier.
Sie haben auch sehr früh dafür gesorgt, an grenzüberschreitenden Kooperationen zu arbeiten, das heißt mit fremden Gebietskörperschaften, die ein anderes Rechts-, Verwaltungs- und sogar Finanzsystem haben, denn in Europa sind wir nicht alle gleich organisiert. Einige hätten gerne, dass es in ganz Europa die gleichen Verwaltungsstrukturen, die gleichen Finanzsysteme gäbe. Aber es ist das Markenzeichen der Demokratie, im Inneren einer Einheit die Vorgehensweisen, die Methoden, die Formen zu wählen, die eine größtmögliche Bürgernähe erlauben.
Mit dieser Erfahrung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit konnten Sie damals alle guten und schlechten Seiten des Europäischen Parlaments kennenlernen. Daraus haben Sie gelernt, in jedem Einzelfall mittels Dialog und Kompromissbereitschaft die passende Lösung zu suchen.
Erlauben Sie mir, über andere Aspekte Ihres familiären Umfelds und Ihrer Ausbildung zu sprechen, die Ihre Laufbahn erhellen und die deutlich machen, welche Werte Sie antreiben. Aus Ihrer Familie haben Sie die Autorität übernommen, die Ihr Vater für Sie als Kind sicherlich darstellte, denn er war Polizist. Sie hatten auch immer einen Hang zur Freiheit, die Ihnen durch eine solide Erziehung, deren starre Regeln Sie zu umgehen wussten, gegeben wurde. Schließlich teilen Sie den Wert der Arbeit, der harten Arbeit, die Ihre Großeltern als Bergarbeiter ehrwürdig verkörperten.
In Ihrer Ausbildung zum Buchhändler muss man die Neigung sehen, die Früchte der Generationen zu ernten, die Ihnen vorausgingen, aber auch an der Quelle dessen zu leben, was tagtäglich gedacht und geschaffen wird. Buchhändler, das bedeutet weitergeben und verteilen, das Ererbte ebenso wie das Neue, das Lebendige. Buchhandlung, dieses Wort und dieser Ort, lassen an Inspiration denken, daran, Montaigne und die Lumières wiederzufinden, den Geist der Encyclopédie, Emmanuel Kant, kurz gesagt die Philosophie.
Dieser Beruf, den Sie mit großer Leidenschaft ausübten, rechtfertigt heute – und darüber freue ich mich – Ihren Einsatz, die Urheberrechte in Europa zu schützen und die kulturelle Ausnahme zu verteidigen. Dies ist eine unserer gemeinsamen Herausforderungen. Wir akzeptieren die Öffnung, wir wollen, dass es Handelsabkommen gibt, aber die Kultur ist keine Ware, sie ist kein Gegenstand wie andere.
Das Lesen und die Kenntnis der schönsten Texte haben Sie in Ihrer Fähigkeit zu Dialog, Toleranz und Geduld bestärkt. Geduld ist eine zutiefst europäische Tugend. Man muss geduldig sein, um Europäer zu sein und man muss Europäer sein, um so geduldig zu sein. Ich spreche nicht nur von den langen Sitzungen des Europäischen Rates, von denen ich mich immer gefragt habe, warum sie nicht früher zu Ende waren und warum unbedingt die Nacht, die ganze Nacht nötig war, damit man sich wirklich sicher über die Schlussfolgerung ist. Wie oft stand für mich die Schlussfolgerung schon vorher fest, aber sicher ist es der undefinierbare Charme Europas, von Anfang an genau zu wissen, was man möchte, aber viel Zeit dafür zu brauchen, sich am Ende wirklich sicher zu sein. Geduld auf Seiten der Staats- und Regierungschefs aber auch Geduld auf Seiten des Europäischen Parlaments. Ich war es nur kurz, sicher weil meine Geduld Grenzen hat, aber auch in dieser Zeit: tagelange, vielleicht nächtelange Debatten, Überlegungen, Ausschüsse. Aber Geduld ist auch ein Mittel, genau zu sein, sicher zu sein, dass das, was geschrieben wird, auch umgesetzt werden kann. Sie haben jedenfalls Geduld bewiesen, als es darum ging, Standpunkte einander anzunähern, Kompromisse zu finden, Streit zu schlichten.
In Europa kennt die Zeit keine Grenzen, und doch haben wir keine Zeit mehr; wir haben keine Zeit, zu viele Dringlichkeiten erfordern unser Einschreiten. Gleichzeitig sind wir von einem Grundsatz geleitet, dem Grundsatz der Vernunft. Und Vernunft setzt sich nicht durch, weil Regeln befolgt werden, sondern weil Argumente schlagkräftig sind. Das macht uns zu Europäern: Wir folgen der Vernunft. Das erklärt für mich auch Ihre Verbundenheit zu einem großen französischen König, nämlich Heinrich IV., dem eine große europäische Persönlichkeit ein Porträt gewidmet hat, nämlich Heinrich Mann. Und ich habe mich gefragt: „Warum diese Beziehung zu Heinrich IV., einem französischen König? Was verbindet Martin Schulz mit Heinrich IV.?“
In unruhigen Zeiten, in Zeiten, als Religionskriege Europa mit Blut überzogen, versuchte Heinrich IV. – der selbst einem Fanatiker zum Opfer fiel – Toleranz durchzusetzen; er versuchte, angesichts der gewalttätigen, extremistischen Unruhen Wege zu einem Kompromiss zu finden. Und genau das hat Ihr Interesse für diesen französischen König geweckt. Toleranz ist nicht die Sehnsucht nach einer vergangenen Ordnung; Toleranz ist das Versprechen auf eine gemeinsame Zukunft. Deshalb ist Toleranz auch eine europäische Geisteshaltung; eine von denen, die wir weiterhin ohne Unterlass und ganz intensiv pflegen und möglichst weit verbreiten müssen.
Die europäische Idee – das ist die Vereinigung von Erbe und Ideal; von Treue und Verpflichtung: sich unserer Wurzeln, unserer Geschichte, der großen Vorbilder unserer Kultur als würdig zu erweisen. Nicht aus Ehrfurcht gegenüber der Vergangenheit, sondern vielmehr, um uns noch höhere Ziele zu stecken. Weil wir von weit her kommen, können wir auch weit gehen; weil wir getrennt waren, können wir zusammen sein. Die Demokratie der Gegenwart wurzelt in den alten Werten und kann so besser in die heutige Welt übertragen werden. Das meint die Präambel des Vertrags über die Europäische Union mit dem Bezug auf die universellen Werte, die Europa vermittelt: die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit.
Für Sie, Martin Schulz, steht die parlamentarische Demokratie im Mittelpunkt dieser Tradition. Sie sind seit 20 Jahren Mitglied des Europäischen Parlaments und haben dazu beigetragen, es in Straßburg – ich betone Straßburg – zum pulsierenden Ort der europäischen Debatte zu machen. Mit Ihnen hat das Europäische Parlament seine Rolle, sein Gewicht in den Entscheidungen geltend gemacht, auch bei Entscheidungen, die ihm nach einer strikteren Lesart der Verträge nicht unbedingt zufallen sollten.
Sie wollten, wie bereits erwähnt, das Konzept des Spitzenkandidaten – jetzt habe ich mich für Sie, Martin Schulz, außerordentlich angestrengt, um dieses Wort auf Deutsch zu sagen –, weil Sie für dieses Konzept stehen, und jetzt ist es auch unser Konzept, das kennzeichnend für die Europawahlen 2014 war. Und der Europäische Rat hat, nicht ohne Debatten und mit einer unendlichen Geduld, dieses Prinzip akzeptiert und dem Parlament Jean-Claude Juncker als Kandidat für den Kommissionspräsidenten vorgeschlagen.
Doch Ihr Engagement beschränkt sich nicht darauf, den Rang Ihrer Institution zu behaupten. Seit drei Jahren eröffnen Sie die Debatten des Europäischen Rats, denn dazu sind Sie zum Beginn unserer Arbeiten eingeladen. Sie übermitteln die Vorschläge und Erwartungen des Parlaments, Sie äußern Ihre persönlichen Bedenken; das alles mit Beharrlichkeit, Entschlossenheit, Einfühlsamkeit, bei manchen Themen sogar mit Emotionen.
Zuerst bekräftigen Sie, dass Wachstum und Wirtschaft in Europa Vorrang haben und alle unsere Politiken darauf ausgerichtet und daran angepasst sein müssen. Sie erinnern auch daran, dass die europäischen Institutionen offen, klar, transparent sein und ihre Entscheidungen den Völkern gegenüber rechtfertigen müssen. Und dann bekräftigen Sie die Idee vom solidarischen Europa. Sie vergessen nie, dass Sie, auch wenn Sie sich als Präsident des Europäischen Parlaments und im Namen aller Abgeordneten äußern, Sozialdemokrat sind. Sie verteidigen die europäische Idee mit Ihrer sozialdemokratischen Überzeugung und trennen beide nie voneinander. Sie sind Europäer und Sozialdemokrat, Sie sind Sozialdemokrat, also Europäer.
Sie wollen, dass die Europäische Union stärker in der Lage ist, sich in den großen Themen der Welt zu engagieren, so wie es der Bundespräsident vorhin betont hat. Europa – das ist nicht einfach das Management eines Marktes und für einige Länder einer Währung; das ist nicht einfach nur die Kunst, die erforderlichen Politiken anzustoßen, die zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen und durch Strukturfonds unsere Infrastruktur sichern.
Nein, Europäer zu sein heißt auch, für die Welt aktiv zu werden; heißt politische Ansätze zu entwickeln, die Ungleichheiten bekämpfen und uns auch vor einer Menge von Übeln bewahren können. Heute ist es der Terrorismus, sind es die Kriege – entweder an unseren Grenzen oder nie weit davon entfernt, im Osten, im Süden, in Nahost, in Syrien, Irak, Libyen, in Afrika. Wir können nicht davon ausgehen, dass diese Konflikte uns eines Tages nicht auch treffen; sie treffen uns schon durch den Terrorismus, wie mehrere europäische Länder erfahren haben; und auch durch die Migrationsbewegungen.
Auch über diese Gefahren hinaus, denen wir ausgesetzt sind, fällt der Europäischen Union eine Verantwortung zu. Sie kam zustande in dem festen Willen, Krieg zu vermeiden, und zwar nicht nur auf dem eigenen Boden, sondern überall in der Welt. Und dann ist da noch eine weitere Bedrohung, die auf uns lastet, nämlich die Erderwärmung. Und ich weiß, dass ich auf die Unterstützung aller Europäer zählen kann, damit die Weltklimakonferenz in Paris ein Erfolg wird.
Ihnen ist ebenfalls wichtig, Herr Präsident des Europäischen Parlaments, dass Europa Regeln hat, Steuerregeln, Sozialregeln, Regeln, die es uns ein besseres Zusammenleben ermöglichen. Ihnen ist auch bewusst, dass wir zwar nicht mehr die Grenzen von gestern haben, dass wir unsere aber dennoch schützen müssen; im Geiste der Solidarität, indem wir Flüchtlinge aufnehmen, diejenigen, die bedroht sind und diejenigen, die trotz der Gefahr für Leib und Leben das Mittelmeer überqueren, das ein Meer des Friedens sein sollte. Und doch wissen wir, dass wir kontrollieren, dass wir mit der gebotenen Menschlichkeit diese Zuwanderung regeln müssen.
Eine schwere Aufgabe, die wir entsprechend unseren Werten erfüllen müssen, aber auch im Interesse unserer Völker – es gibt und wird immer die geben, die die Ängste nutzen, die diese Menschen, die zum Opfer geworden sind, benutzen, um neue Nationalismen und die Ablehnung des Anderen zu beschwören. Ich weiß, welche Zielsetzungen Sie für Europa haben; ich weiß auch, dass Sie Europa immer als ein Europa verstanden haben, in dem jedes Land dem anderen ebenbürtig ist, ganz gleich, welche Menschen dort leben und welche Wirtschaftskraft es aufweist. Und zugleich waren Sie der Meinung, dass Frankreich und Deutschland eine besondere Verantwortung für Europa haben. Und sollten Deutschland oder Frankreich das vergessen, so bin ich sicher – wie ich Sie kenne, mit Ihrer gewohnten Offenheit –, dass Sie uns sofort daran erinnern würden.
Ich spreche hier nicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel und auch nicht von mir, ich spreche von unseren Nachfolgern, die es eines Tages natürlich geben wird, das wird in beiden Fällen so sein. Doch Sie haben immer gewusst, dass die deutsch-französische Verständigung etwas Wesentliches ist. Und ich möchte Ihnen dafür Anerkennung zollen, dass Sie zur Annäherung zwischen der Bundeskanzlerin und dem französischen Staatspräsidenten beigetragen haben. Sie haben dafür gesorgt, dass wir jedes Mal die richtigen Lösungen finden konnten. Und Sie verfügen über diese seltene Begabung, sich sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch ausdrücken zu können; so werden Sie von beiden verstanden, was schon viel ist.
Die Bundeskanzlerin und ich, wir haben gezeigt, dass diese deutsch-französische Verständigung nützlich sein kann, nicht nur für Europa, so wie es ist, sondern auch für die Länder östlich von Europa. Wir haben in der Tat, lieber Herr Präsident Poroschenko, viele Stunden in Minsk verbracht, die Bundeskanzlerin und ich, um an einer Einigung zu arbeiten, von der wir alle hoffen, dass sie in allen Aspekten umgesetzt wird – und ich weiß, dass dies Ihre Absicht ist – und wir den Frieden bewahren können.
Martin Schulz, Sie sind ein Mann mit Charakter. Wenn man in Frankreich von einem Mann mit Charakter spricht, dann meint man, dass er sich aufregen kann. Das gilt auch für Sie. Manchmal ist Ihre Aufregung vorgetäuscht, um Ihre Thesen in einer Verhandlung besser untermauern zu können, was mir nicht lange verborgen bleibt. Manchmal ist Ihre Aufregung echt, nämlich immer dann, wenn es zu Ungerechtigkeit kommt, zu Missachtung und Unanständigkeit, was Ihnen alles schon untergekommen ist.
Lieber Martin Schulz, Sie sind der Ansicht, dass Politik Kompromisse suchen muss, jedoch kein ständiger Kompromiss sein darf; dass es rote Linien gibt, Grenzen für die Äußerung infamer Behauptungen oder für unverzeihliche Taten. Für Sie ist Aufrichtigkeit die schärfste Waffe zur Durchsetzung Ihrer Ideen. Machen Sie also weiter, Martin Schulz, wir werden an Ihrer Seite sein, um gegen die Ablehnung des Anderen, gegen den entmutigenden Pessimismus, gegen Schwarzmalerei und Selbstaufgabe, gegen die Klagen über den Niedergang anzukämpfen und gegen die sinnlosen Rückzugsversuche in einer Welt, die nicht auf uns wartet.
Setzen Sie mit uns das Werk fort, dem Sie Ihr Leben gewidmet haben, für Europa, für ein Europa, das Anregungen gibt, für ein Europa, das Schutz gewährt, für ein Europa, dessen Strahlkraft jeden Einzelnen stärkt; für das Europa, für das Sie den Preis, den Sie heute erhalten, mehr als verdient haben. Es lebe Europa! Und ein brüderlicher Gruß an Martin Schulz.
(Übersetzung: Französische Botschaft in Deutschland)