Aachen, die uralte Stadt im äußersten Westen des deutschen Kulturgebietes, durch Geschichte und Überlieferung bestimmt zur Pflege von Freundschaft mit den Nachbarn, die zwar eine andere Sprache sprechen aber durch so viele Gemeinsamkeiten mit ihr verbunden sind, hat ein festliches Gewand angelegt. Noch zeugt das Bild der Stadt von den furchtbaren Zerstörungen, die die Verblendung des Nationalismus diesem Erdteil zugefügt, ja man möchte fast sagen, daß es gut ist, daß derart Tag für Tag das furchtbare Erleben der Kriegszeit uns wieder vor Augen gestellt wird, denn der Mensch neigt allzusehr zum Vergessen. Vergessen aber wäre - soweit es die eigenen Fehler betrifft - das Schlimmste, was unsere Generation tun könnte. Weil die Bürger von Aachen aber nicht vergessen wollen, was die Geschichte ihnen aufgetragen, ergeht alljährlich dieser Ruf zur festlichen Versammlung in dieser Halle, um einen Mann zu ehren, der als Bahnbrecher eines einigen Europa dem Frieden der Völker dient. Unser Ruf hat in diesem Jahre ein Echo gefunden wie niemals zuvor, und so ist es mir eine Ehre und eine Freude, Sie alle hier willkommen zu heißen, die Sie durch Ihr Erscheinen dem heutigen Tage besondere Bedeutung verleihen.
Ich begrüße zunächst und zuerst den Mann, dem die Ehre des heutigen Tages gilt:
Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer.
Mit und neben ihm begrüße ich die früheren Karlspreisträger
Graf Coudenhove-Kalergi, Herrn Professor Brugmans
und den Präsidenten der Hohen Behörde der Montanunion, Herrn Jean Monnet.
Groß ist die Zahl der Mitglieder des in Bonn akkreditierten Diplomatischen Korps, die ich hier willkommen heißen darf: den Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten von Amerika
S.E. Herrn Botschafter Dr. Conant.
In Vertretung des Hohen Kommissars der französischen Republik
S.E. Herrn Botschafter Birard.
Ferner
S.E. den Herrn dänischen Botschafter Franz Hvass,
S.E. den Herrn italienischen Botschafter Francesco Babuscio Rizzo,
S.E. den Herrn spanischen Botschafter Dr. Antonio Maria Aguirre Gonzalo,
S.E. den Herrn pakistanischen Botschafter Dr. Omar Hayat Malik,
S.E. den Herrn griechischen Botschafter Jean Stephanou,
S.E. den Herrn türkischen Botschafter Suat Hayri Urgüplü,
S.E. den Herrn kolumbianischen Botschafter Camilo de Brigand Silva,
S.E. den Herrn indonesischen Botschafter Dr. Alexander A. Maramis,
S.E. den Herrn belgischen Botschafter Baron de Gruben,
S.E. den Herrn chilenischen Botschafter Manuel Hormazábal,
S.E. den Herrn peruanischen Botschafter Gonzalo N. de Arámburu,
S.E. den Herrn mexikanischen Botschafter Alfonso Guerra,
S.E. den Herrn südafrikanischen Botschafter Dr. A.H.H. Mertsch,
S.E. den Herrn österreichischen Botschafter Adrian Rotter
Sowie Ihre Exzellenzen die Herren Gesandten der Schweiz, von Schweden, Irland, Ecuador, Venezuela, El Salvador, Syrien, Israel, Finnland und Costa-Rica,
den Herrn britischen Land-Commissioner.
Wir sind außerordentlich glücklich über die Anwesenheit des Herrn Belgischen Kolonialministers Buisseret. Herr Minister, Sie sind uns, ebenso wie der gleichfalls hier gegenwärtige Herr Senator Dehousse als unsere Lütticher Nachbarn in Freundschaft verbunden; wir sehen jedoch in Ihrer heutigen Anwesenheit in Ihrer Eigenschaft als Mitglied der Belgischen Regierung eine besondere Aufmerksamkeit, die wir sehr zu schätzen wissen.
Des weiteren begrüße ich den Herrn Präsidenten des Beratenden Ausschusses der Montanunion, Renard und seinen Stellvertreter, Herrn Bergassessor Burckhardt,
den Herrn Vizepräsidenten der Hohen Behörde der Montanunion, Etzel,
die Herren Gouverneure der uns benachbarten belgischen Provinz Lüttich, Clerdent und der niederländischen Provinz Limburg, Dr. Houben,
die anwesenden Mitglieder des Konsularcorps, die Herren Bürgermeister von Lüttich, Gruselin, und von Maastricht, Baron Michiels van Kessenich, den Herrn Präsidenten der Association Grand Liège, Frankignoul.
Mit besonderer Freude heiße ich ferner willkommen Herrn Ministerpräsidenten Arnold, Herrn Bundesjustizminister Dr. Neumayer, die Herren Minister Dr. Flecken, Dr. Meyers, Dr. Schmidt und Dr. Peters,
die Herren Staatssekretäre Dr. Globke, Professor Dr. Hallstein, Thedieck und Dr. Wandersleb, die zahlreichen anwesenden Vertreter von Bundes- und Landesministerien und der befreundeten Nachbarstädte und Landkreise sowie zahlreiche Mitglieder des Bundestages und des Landtages von Nordrhein-Westfalen, darunter den Herrn Vorsitzenden der Christlich-Demokratischen Fraktion des Bundestages, Herrn Dr. von Brentano.
Die Menschen unserer Generation, die noch vor wenigen Jahren ratlos vor den Trümmern standen, sind durch eine harte Schule gegangen, eine Schule der Besinnung auf das Wesentliche. In den Jahren, da der Krieg mit seinen fürchterlichen Zerstörungen durch die Lande rast und alles Leben bedrohte, in den Jahren, da unser deutsches Volk unter dem Terrorregime einer Verbrecherclique schmachtete, die den deutschen Namen vor aller Welt besudelte und die deutsche Ehre beschmutzte, haben wir zu unterscheiden gelernt: in der andauernden Gefahr haben wir uns geistig von vielem losgelöst, das den Geschlechtern vor uns lieb und teuer, der Erhaltung würdig und eines höheren Einsatzes wert erschienen war. Den denkenden Menschen kann es daher heute nur mit Trauer und Skepsis erfüllen, daß allenthalben festzustellen ist, daß mit der Beseitigung mancher Trümmer und der Festigung der materiellen Grundlagen auch die wertvollen Erkenntnisse dieser stürmischen Zeit verlorenzugehen drohen. Man treibt heute soviel Mißbrauch mit dem Begriff der "Restauration", er wird verwandt zur Diffamierung einer Besinnung auf echte Werte, die sich in der Vergangenheit bewährt haben; wenn man ihn aber anwenden will auf die drohende Verschüttung einer vor kurzem erst wiedergewonnenen gesunden Wertordnung, die der größte Gewinn einer unheilvollen Epoche unserer Geschichte sein dürfte, dann können wir nur zustimmen.
Es bleibt ein historisches Verdienst Winston Churchills, daß er schon im Jahre nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges, am 19. September 1946, in seiner wahrhaft aufrüttelnden Ansprache an die Studenten der Züricher Universität mit staatsmännischem Schwung die schmerzliche Ideologie des Hasses, die einem Kampf auf Leben und Tod anhaftet, überwunden und einen zündenden Appell an die Einigkeit der Völker Europas richtete. Diesen beschloß er mit den Worten: "Laßt Europa auferstehen!" Unter Hinweis auf die Vorarbeit, die der erste Träger des Karlspreises, Graf Coudenhove-Kalergi, für den Gedanken der Einigung Europas geleistet, sagte er: "Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa aufbauen. Nur auf diesem Wege werden Hunderte von Millionen Menschen die Möglichkeit haben, sich kleine Freuden und Hoffnungen, wie sie das Leben lebenswert machen, wieder zu gönnen. Das kann auf einfache Art erreicht werden. Es braucht nur die Entschlossenheit der Hunderte von Millionen Männern und Frauen recht statt schlecht zu tun und dafür Segen statt Fluch zu ernten."
Wenn mir scheint, daß dieser Weckruf Churchills ein historisches Verdienst darstellt, dann sage ich das nicht aus dem Nachempfinden der herzlichen Freude zahlloser Menschen, die aus diesen Worten neue Hoffnung schöpften, sondern aus der Erkenntnis, daß auch diese Konzeption im Munde eines britischen Staatsmannes von jener Neuordnung der Werte als Ergebnis der Schrecken der vorausgegangenen Jahre zeugen. Seit diesem Tage ist es nicht mehr still geworden um die Einigung Europas. Die Ziele Churchills fanden nicht nur die uneingeschränkte Zustimmung anderer Staatsmänner, sie gingen auch ein in die Herzen der zunächst Betroffenen, der Bewohner dieses gequälten Erdteils.
Der vielfache persönliche Kontakt, den der Krieg und die Intensivierung des Reiseverkehrs zwischen den Bürgern der Vereinigten Staaten von Amerika und den Völkern Europas geschaffen, hat Einsichten vermittelt von den ungeheuren Möglichkeiten, die allein schon auf wirtschaftlichem Gebiete die einheitliche Organisation eines großen Raumes erschließt. Bei allem Respekt vor dem Genius Amerikas, dessen Leistungen in Europa nur zu gerne aus einem unbegründeten Hochmut unterschätzt werden - nach meiner Überzeugung angesichts der ungeheuren Schwierigkeiten, die mit einem solch stürmischen Fortschritt der Entwicklung unweigerlich verbunden sind, aber kaum überschätzt werden können - dürfen wir doch annehmen, daß wir für die Wohlfahrt unserer Völker die gleichen Ergebnisse erzielen würden, wenn unsere Uneinigkeit nicht unsere Kräfte hoffnungslos zersplittern würde. Dem Bewohner einer Stadt, die durch unselige historische Gegebenheiten seit mehr als einem Jahrhundert in eine Grenzlage verbannt ist, bietet sich der tägliche Anblick der ungeheuren Aufwendungen, die ein Land sich heute noch leistet, um den Verkehr der in Nachbarschaft und traditioneller Freundschaft verbundenen Menschen zu beschränken, um sich zu schützen vor der Einfuhr von Gütern, die anderweitig vielleicht besser und billiger hergestellt werden. Von der Ministerialebene herab bis zum einfachen Grenzschutzbeamten wird in jedem Staat dieses Kontinents ein ganzes Heer von Männern im Vollbesitz menschlicher Leistungsfähigkeit benutzt, um solch negativen Zwecken zu dienen, und es hat den Anschein, als hätte man noch nirgends darauf gesonnen, diese Energien positiv auszuwerten. Dieser Erdteil, in dem seit Menschengedenken eine Großtat menschlicher Geisteskraft und Erfindungsgabe an die andere gereiht wird, lebt auf dem Gebiete der staatlichen und politischen Organisation unter Verhältnissen, die einer längst vergangenen Zeit entsprechen. Über einen Wirtschaftler, der heute seinen Betrieb auf der Basis des Standes der Technik zu Beginn des 19. Jahrhunderts betreiben wollte, würde die Entwicklung in einer nur nach Tagen bemessenen Frist hinweggehen. Über die Rückständigkeit unserer politischen Organisation ist die Geschichte ebenfalls schon hinweggegangen, Europas politische Ohnmacht ist offenkundig, seine wirtschaftliche Konkursreife ist nur noch einmal durch das Dazwischentreten Amerikas verschleiert worden, sie kann jedoch von niemandem, der tiefer blickt, übersehen werden. Übersehen werden kann auch nicht die tödliche Gefahr, der wir alle mitsamt unseren höchsten Gütern ausgesetzt sind in der Nachbarschaft eines straff und einheitlich organisierten Weltreiches, dessen Machtsphäre heute vom Stillen Ozean bis zur Elbe reicht. Während Jahrhunderten haben die Bürger der freien Welt es als selbstverständlich angesehen, daß ihre Söhne um einer vermeintlichen oder wirklichen Bedrohung ihrer Freiheit willen ohne Murren in den Tod gingen. Heute bedarf es in keinem der europäischen Staaten mehr einer höheren Einsicht, um zu verstehen, daß er auf sich allein gestellt hoffnungslos jeder möglichen Aggression zum Opfer fallen wird. Angesichts der furchtgebietenden Entwicklung neuzeitlichen Zerstörungsmittel gilt die Frage, ob es im Gewissen noch erlaubt ist, irgendein Opfer als untragbar zu bezeichnen, wenn es nur die geringste Aussicht bietet, künftige Vernichtungen zu vermeiden. Wenn schon nicht wirtschaftliche Vernunft, wenn nicht das anschauliche Vorbild der Vereinigten Staaten in Fortschritt und Wohlstand, so müßte doch die drohende Anklage einer sinnlos dem Tode ausgelieferten Jugend uns die Augen öffnen. Was zählt dagegen noch die Aufgabe souveräner Rechte, wenn sie geteilt werden mit den Menschen, deren Kultur und Geschichte im gleichen Boden wurzeln wie die unsrige? Was gilt noch "nationale Eigenständigkeit", wenn wir um den Fortbestand unserer Freiheit, unserer Religion, der gesamten Grundlagen unserer Kultur bangen müssen? Hier muß eben die Besinnung auf das Wesentliche einsetzen. Wenn wir uns erinnern, wie wir in den Stürmen des letzten Krieges, im Feuerregen des Schlachtfeldes ebensogut wie im Bombenhagel der Heimat ohne Zögern alles aufgegeben hätten, wenn einer uns hätte Leben, Freiheit und Heimat zu retten versprechen können, dann will es uns unverständlich erscheinen, wie schnell die Menschen vergessen, wie sehr die Bereitschaft zur Preisgabe überholter Vorstellungen und Begriffe geschwunden ist, wo es doch gilt, den fortbestand höchster Werte zu sichern.
Diese Worte sind gesprochen aus der Ungeduld eines Volkes, das sehr gegen seinen eigenen Willen durch die Verblendung weniger, die alle Gewalt an sich gerissen, in den tiefsten Abgrund der Zerstörung und menschlicher Not gestürzt wurde, das am eigenen Leibe erfahren hat, was es heißt, im Bereich der Politik gegen die Vernunft zu handeln. Sie sind gesprochen aus der Sicht eines Menschen, der sein Leben verbracht hat in unmittelbarer Nähe anderer Völker, deren menschliche Größe und Schwächen, deren großartige Beiträge zu unserer Kultur und zum Aufbau einer modernen Wissenschaft und Wirtschaft erkennen und wertschätzen gelernt hat und dem daher das Zögern vor einem engeren Zusammenschluß unbegreiflich erscheint.
Diese Ungeduld darf uns aber nicht blind machen gegen das, was bereits erreicht und geschaffen wurde. Der erste Träger unseres Karlspreises, Graf Coudenhove-Kalergi, der 1923 sozusagen als Einzelgänger weitschauend und mutig die Fahne Paneuropas entrollte, kann mit Stolz und Freude feststellen, daß dieser Fahne heut eine schier unabsehbare Zahl von Menschen folgt; seit dem letzten Kriege ist der Boden psychologisch bereitet und die probeweise abgehaltenen Volksabstimmungen in den verschiedensten Ländern geben ein eindeutiges Bild von der zündenden Kraft seiner Ideen. Fast schneller, als die Optimisten zu hoffen gewagt, wurde die Verwirklichung der Idee auch vom Institutionellen her vorwärtsgetrieben. Der in Straßburg begonnenen Zusammenarbeit der Parlamentarier folgte die Schaffung gemeinsamer wirtschaftlicher Einrichtungen. Praktische Erfolge wurden auch hinsichtlich der Erleichterung des Reiseverkehrs, der Intensivierung des kulturellen Austauschs und der Förderung gemeinsamer wissenschaftlicher Einrichtungen erzielt. Der zweite Träger des Karlspreises, Professor Hendrik Brugmans leistet fundamentale Vorarbeit für den Aufbau einer europäischen Gemeinschaft, indem er als Rektor des Europakollegs in Brügge junge Europäer mit dem geistigen Rüstzeug versieht, das sie befähigen soll, dieser Gemeinschaft einmal mit Erfolg zu dienen. Als praktischer Politiker und Staatsmann hat Alcide de Gasperi, der dritte Träger des Karlspreises, nicht nur im eigenen Vaterlande für die Ausbreitung europäischen Geistes gewirkt, sondern auch auf internationaler Ebene Großes geleistet.
Jean Monnet, der vierte Preisträger, unternimmt es als Leiter der Hohen Behörde der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl auf wirtschaftlichem Gebiet, wo die realen Interessen hart aufeinanderstoßen, den Beweis zu erbringen, daß das Miteinander letzten Endes fruchtbarer und nutzbringender ist als das Nebeneinander oder gar das Gegeneinander.
Nun haben wir uns heute hier versammelt, um zum fünften Male einen Mann mit diesem Preise auszuzeichnen, der den Namen jenes großen Europäers trägt, der von dieser Stadt aus die erste europäische politische Gemeinschaft begründete, der - so wie er diese seine Pfalz aus den Quadern römischer Bauten errichtete - den Geist der Antike und des Christentums in seiner Reichsidee miteinander vermählte. Der Mann, den es heute zu ehren gilt, ist kein geringerer als der Kanzler der Westdeutschen Bundesrepublik, Dr. Konrad Adenauer. Selbst ein Sohn dieses gesegneten Landes zwischen Rhein und Maas, ist er groß geworden, in der gleichen Atmosphäre, die in den Bürgern dieser Stadt den Gedanken der Stiftung des Preises reifen ließ. Getreuer Sohn seiner rheinischen Heimat, unermüdlicher Sachwalter seines deutschen Vaterlandes, ist er niemals der Beschränkung nationalen Denkens verhaftet gewesen. Seine politische Laufbahn, sein gesamter Werdegang im öffentlichen Leben ist gekennzeichnet durch sein konsequentes Streben nach einer Eindämmung nationalistischer Ambitionen. Schon lange bevor die Einigung Europas konkreter Programmpunkt der Politik geworden, ist er als ihr geistiger Wegbereiter tätig gewesen, indem er als Oberbürgermeister der Stadt Köln geistige Brücken nach dem Ausland schlug. Mit der ganzen Kraft seiner starken Persönlichkeit hat er sich dem Vordringen des Ungeistes des Nationalsozialismus widersetzt. Als dann der Irrweg unseres Volkes im fürchterlichsten Inferno sein Ende gefunden und Konrad Adenauers erzwungene Mußezeit vorüber war, ging er sogleich mit Tatkraft an die politische Aktivierung des eigenen Volkes und als Präsident des parlamentarischen Rates an die Schaffung eines Grundgesetzes, das diesem, soweit es nicht sowjetischer Herrschaft untersteht, im staatlichen Leben eine neue Ordnung geben soll. In diesem Grundgesetz ist schon die Möglichkeit vorgesehen, daß die Bundesrepublik gewisse Souveränitätsrechte an eine größere Gemeinschaft abgeben kann. Der Deutsche Bundestag wählte 1949 Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, auf seine seitherige staatsmännische Leistung einzugehen. Was er aber als Bundeskanzler für die Einigung Europas getan, wird auf immer mit seinem Namen verknüpft sein. "Haben wir Deutsche nicht die Verpflichtung, nachdem in der Vergangenheit wenigstens ein Teil unseres Volkes durch den Krieg große Schuld auf sich geladen hat, nunmehr unsere ganze geistige, sittliche und wirtschaftliche Kraft dafür einzusetzen, daß dieses Europa wird und daß es ein Element des Friedens auf der Welt wird?" Mit diesen Worten setzte Dr. Adenauer sich vor dem Bundestag für seine Europapolitik ein. Aus dieser inneren Verpflichtung heraus ist er nicht müde geworden, trotz aller Hemmungen und Schwierigkeiten diesem Ziele zuzusteuern. Den wahren Wert dieser Bestrebungen für sein eigenes Volk kennzeichnete er einmal treffend mit den Worten:
"Der deutsche Weg führt nach Europa und nicht in eine nationale Einsamkeit, die zugleich eine weltpolitische Verlassenheit wäre." Wer weiß, wie stark die Völker dieses Erdteils in ihrer Vergangenheit wurzeln, darf nicht überrascht sein, daß immer neue Schwierigkeiten ihm auftauchen. "Wenn aber der Traum von einem geeinten Europa einmal Wirklichkeit wird", so sagt ein angesehener amerikanischer Journalist, "so wird Adenauer als einer seiner Schöpfer in die Geschichte eingehen".
Eines ist uns Gewißheit: solange seine Stimme vernehmbar ist unter den Staatsmännern der Gegenwart, wird sie nicht müde werden, mit aller Eindringlichkeit zu künden von der Notwendigkeit des Zusammenschlusses der Völker Europas. Er wird nicht aufhören, seine ganzen staatsmännischen Fähigkeiten, die Kraft seines Geistes und das Gewicht seiner Persönlichkeit für dieses hohe Ideal einzusetzen, so wie er es noch heute genau vor einer Woche, am 20. Mai 1954, in Straßburg getan, als er an die Beratende Versammlung des Europarates die Worte richtete: "Lassen Sie uns alle Energie aufwenden, um vorwärts zu schreiten. Lassen sie uns, bewußt der großen Tradition dieses Kontinents, alle die Kräfte wachrütteln, die unsere Völker Jahrtausende lang immer wieder zu den größten Leistungen befähigt haben. Lassen Sie uns dafür sorgen und arbeiten, daß diese Kräfte nie wieder gegeneinander, sondern immer nur gemeinsam wirken zur Erhaltung von Frieden und Freiheit, zum Schutze unseres Europa und der freien Welt."
Mit heißen Herzen und voll innerer Anteilnahme begleiten wir alle sie, Herr Bundeskanzler, auf dem schweren und oft so steinigen Wege, den sie, allen Widerwärtigkeiten zum Trotz, unbeirrt und mutig gehen im Bewußtsein der begeisterten Zustimmung der überwiegenden Mehrheit Ihres eigenen Volkes, im Bewußtsein auch der schweren Verantwortung, die Sie vor der Geschichte tragen. Diese wird Sie, aber auch uns Europäer alle einmal danach richten, ob wir die Zeichen der Zeit verstanden, ob wir - wenn nötig - kein Opfer gescheut, um unseren Kindern und Kindeskindern ein lebenswertes Dasein zu sichern, um ihnen die uns überlieferten Werte zu erhalten, die uns so notwendig sind wie das tägliche Brot. Aus dieser Gesinnung erklärt es sich, daß das Direktorium für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aacheneinstimmig beschlossen hat, Ihnen, hochverehrter Herr Bundeskanzler, den Karlspreis 1954 zuzuerkennen, den ich Ihnen nunmehr zu überreichen die hohe Ehre habe.