Verehrte Festgäste,
die heutige Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen findet in einer Zeit statt, in der der Begriff "Krise" allgegenwärtig ist. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hält uns jetzt schon einige Zeit in Atem, und die Krise der Staatsfinanzen stellt Europa vor schwierige Herausforderungen.
Sind die Mechanismen, die uns die Errungenschaft einer gemeinsamen Währung ermöglichen, auch in schwierigen Zeiten tragfähig? Oder müssen wir damit rechnen, dass die Probleme bei der Abstimmung wirtschaftspolitischer Grundsätze letzten Endes sogar an den Fundamenten des gemeinsamen Projektes "Europa" rütteln?
Sicher ist, dass höchste Wachsamkeit gefordert ist. Aber ebenso sicher ist, dass wir vertrauen können auf Menschen, die im Bewusstsein um die Werte der europäischen Einigung verantwortungsvolle Entscheidungen treffen. Ein Mann, der mit Leib und Seele für Europa einsteht in einem schwierigen Amt, wird heute ausgezeichnet.
Meine Damen und Herren, begrüßen wir ihn und seine Familie besonders herzlich. Mesdames et Messieurs ! Nous sommes heureux de pouvoir acceuillir á Aix-la-Chapelle, le lauréat du Prix Charlemagne 2011, le Président de la Banque Centrale Européenne, Monsieur Jean-Claude Trichet. Soyez le bienvenu! Es ist uns eine große Ehre, S.E., den Präsidenten der Europäischen Kommission, Herrn Dr. José Manuel Barroso, willkommen heißen zu können, dem ich schon jetzt herzlich für seine Laudatio auf den Preisträger danke.
Wir freuen uns außerordentlich über die Anwesenheit der Karlspreisträger früherer Jahre, die ich herzlich in unserer Mitte begrüße:
den Karlspreisträger 1976, den ehemaligen Ministerpräsidenten Belgiens, S.E. Leo Tindemans
die Karlspreisträgerin 1981, die frühere Präsidentin des Europäischen Parlamentes Simone Veil
den Karlspreisträger 1993, den ehemaligen Ministerpräsidenten Spaniens, S.E. Felipe Gonzáles Márques
den Karlspreisträger 1995, den früheren Bundeskanzler der Republik Österreich, Herrn Dr. Franz Vranitzky
den Karlspreisträger 2006, den Premierminister des Herzogtums Luxembourg, S.E. Dr. Jean- Claude Juncker.
Herzlich begrüße ich den Senatspräsidenten der Niederlande, Herrn Dr. René van der Linden sowie den ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlamentes, Herrn Hans-Gert Pöttering.
Ich begrüße sehr gern die Botschafter der Länder Frankreich, dem Kosovo, Kroatien, Luxemburg, Makedonien, Niederlande, Portugal, Rumänien, slowakische Republik, Spanien, und Ungarn. Willkommen heißen wir auch die Generalkonsuln von Portugal, Frankreich, Polen, der Vereinigten Staaten von Amerika, Kroatien und Griechenland sowie weitere Mitglieder des konsularischen Corps.
Herzlich grüßen möchte ich die Präsidentin des Bundesrates und Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Hannelore Kraft, den Bundesminister für Finanzen, Herrn Dr. Wolfgang Schäuble, sowie den Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herrn Dr. Werner Hoyer.
Ein herzlicher Willkommensgruß gilt dem Präsidenten des nordrhein-westfälischen Landtages, Herrn Eckhard Uhlenberg, sowie der Landesministerin Frau Dr. Angelika Schwall-Düren und dem Landesminister Herrn Guntram Schneider.
Wir freuen uns über die Anwesenheit zahlreicher Mitglieder des Europäischen Parlamentes sowie des Bundestages und des nordrhein-westfälischen Landtages.
Wir fühlen uns schließlich geehrt durch die Anwesenheit des ehemaligen Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Prof. Horst Köhler, des ehemaligen Bundesaußenministers, Herrn Hans-Dietrich Genscher und des ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Dr. Jürgen Rüttgers.
Wir begrüßen den Präsidenten der österreichischen Nationalbank, Herrn Dr. Claus Raidl und den Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Herrn Dr. Jens Weidmann und die Mitglieder des Direktoriums der Europäischen Zentralbank.
Darüber hinaus begrüße ich mit Freude S.E. Herrn Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff sowie die Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften.
Herzlich willkommen heißen wir den Initiator des Jugendkarlspreises, Herrn Dr. André Leysen und die Preisträger dieses Jahres, allen voran die Vertreterin des Siegerprojektes, Lucy Duggan aus Großbritannien.
Ihnen und vielen weiteren Persönlichkeiten, die uns durch ihre Anwesenheit ehren, aber auch den Zuhörern und Zuschauern an Radio und Fernsehen gilt der herzliche Gruß der Stadt Aachen. Hier in Aachen, der Stadt Karls des Großen, ist die Geschichte Europas greifbar und zugleich ist Europa hier im Dreiländereck täglich präsent.
Wir erleben den ungeheuren kulturellen Reichtum der drei Länder Niederlande, Belgien und Deutschland, verschiedene Strukturen und Sprachen, die verschiedenen Lebensarten und Landschaftsbilder, eine Vielfalt, die wir nicht missen wollen, und doch ist es nur ein kleiner Ausschnitt bezogen auf ganz Europa.
Wir kennen einerseits die Hürden des europäischen Alltags, andererseits aber auch die Chancen Europas in seiner ganzen Fülle.
Diese Chancen der Einheit Europas ersehnten vor mehr als 6 Jahrzehnten die Gründer des Karlspreises, die Mitglieder der bürgerschaftlichen Corona Legentium Aquensis.
Seitdem ist viel geschehen. Aus ihren Visionen sind unsere Realitäten geworden. Es gab zwar immer wieder Krisen und Konflikte, aber auch vertrauensvolle Zusammenarbeit, kreative Lösungen und ein großes Maß an europäischer Integration.
Aber ist es gelungen, eine ausreichende Harmonisierung politischer Regeln herbeizuführen, die nötig ist, um den Euro als gemeinsame Währung in die Zukunft zu führen? Und sind wir stark genug, um gefährlichen politischen Strömungen in Europa, oder auch weltpolitischen Umbrüchen als Einheit zubegegnen?
Die Finanzkrise und die Unsicherheit über die Zukunft des Euro, die Vielstimmigkeit in wichtigen Fragen der Außenpolitik, und ebenso in Haushalts- und wirtschaftspolitischen Fragen, Dissonanzen, das Problem des Umgangs mit Flüchtlingsströmen im Süden unseres Kontinents sind sichtbare Symptome der schwierigen Lage, in der wir uns befinden.
Das Erstarken betont nationalistischer Tendenzen in mehreren Mitgliedsländern, die Rücksichtnahme auf populistische Strömungen, die sich gegen europäische Solidarität wenden, Pläne oder Maßnahmen, die die offenen Grenzen und damit die Reisefreiheit der europäischen Bürgerinnen und Bürger in Frage stellen, zeigen, dass erstmals im fortschreitenden Prozess der europäischen Integration selbst von Regierungen darüber nachgedacht wird, Erreichtes aufzugeben. An diesem Punkt sind überzeugte Europäer gefordert: Wir wollen nicht den Rückwärtsgang einlegen. Wir wollen keine Renationalisierung der Politik europäischer Staaten.
Aber Krisen machen uns anfällig für vermeintlich einfache Lösungen. Das ist der Grund und Nährboden für antieuropäischen Populismus. Die Geschichte unseres Landes lehrt uns auf alle Zeit, diese Gefahr ernst zu nehmen und ihr mit aller Kraft zu begegnen.
Wir brauchen also fachlich fundierte Vorschläge, wie der Krise zu begegnen ist. Welche Antworten halten die Experten der Volkswirtschaftslehre bereit? Eine sichere Analyse ist ja vielleicht schon der erste Schritt zur Problemlösung. Aber leider gibt es keine einheitliche Antwort.
Immerhin besteht Einigkeit darin, dass wir keine Euro-Krise haben, sondern wir haben Verschuldungskrisen einzelner Mitgliedsstaaten, eine Krise der Staatsfinanzen.
Der Grund ist, dass haushaltspolitische Regeln aufgeweicht wurden. Ohne eine gemeinsame Währung wäre die Konsequenz, dass der Wechselkurs schnell darauf reagieren würde. Die Strafe folgt dann sozusagen auf dem Fuße, und zwar nur für das einzelne Land. Im gemeinsamen Euroraum ist das anders. Die Probleme werden zunächst verschleppt, sie bleiben nahezu unsichtbar bis zu dem Punkt, an dem die Lage zur Gefahr für die gemeinsame Währung wird. Für ein solches Gebilde gilt, dass zu lasche Regeln ein Risiko sind, das existentiell werden kann.
Die Einführung des Euro hat Konsequenzen. Diese Konsequenzen sind Anpassung und letztlich eine spürbare Einschränkung der Souveränität.
Um dauerhaft wirtschaftliches Wohlergehen und solide Staatsfinanzen zu sichern, ist eine enge politische Koordinierung erforderlich. Eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik muss mit dem Geist und der Kompetenz einer Wirtschaftsregierung die Formulierung und vor allem die Einhaltung von Regeln sicher stellen. Wenn uns das nicht gelingt, dann werden wir unserer Verantwortung für die Zukunft unseres Finanz- und Wirtschaftssystems nicht gerecht, wir werden Europa nicht gerecht. Aber dieser Weg ist nicht leicht.
Und wenn eine Gemeinschaft diese Kraftanstrengungen zum Wohle aller einfordert, dann muss das mit etwas anderem aufgewogen werden: mit Solidarität!
Es wird in einem gemeinsamen Europa immer Staaten geben, die mehr einzahlen und andere, die Unterstützung erhalten. Über einen längeren Zeitraum betrachtet ist es sehr wahrscheinlich, dass aus Geberländern auch einmal Nehmerländer werden können und umgekehrt.
Wer sich darüber beklagt, wegen relativen Reichtums zu denen zu gehören, die für andere zahlen müssen, auch für die Fehler anderer, der verkennt, dass sich das Blatt auch wenden kann. Auch dazu lässt die deutsche Nachkriegsgeschichte Erkenntnisse zu: ohne die Hilfe und das Vertrauen der Aliierten wäre ein Wirtschaftswunder in Deutschland nicht denkbar gewesen.
Krisensituationen erfordern oft schnelle Entscheidungen. Wenn die Regierungschefs zusammen kommen, dann müssen sie darauf vertrauen, dass die Parlamente ihrer Staaten und letztlich die Bevölkerung hinter ihnen stehen. Eine politische Vertrauenskrise ist jetzt das, was wir am wenigsten gebrauchen können. Wir brauchen einerseits mehr Instrumente der Bürgerbeteiligung da, wo es sachlich geboten und zeitlich möglich ist. Aber wir brauchen andererseits und ebenso dringend handlungsfähige Regierungen, die in der Lage sind, Zusagen zu geben und einzuhalten, wenn es dem Gemeinwohl dient. Das gehört zur Demokratie dazu, und das gilt es zu verteidigen.
Die Europäische Zentralbank hat dabei als wichtigste Grundlage ihre völkerrechtlich gesicherte Unabhängigkeit, die es erlaubt, immer einen klaren Blick auf die Erhaltung der Preisstabilität zu halten. Und die Erkenntnisse der EZB sind hilfreich für die Politik, vom EU-Parlament bis zu den Regierungen aller Länder, die die Schicksalsgemeinschaft Europa gemeinsam gestalten.
Krisensituationen hat unser Kontinent über die Jahrhunderte vielfach gesehen. Die schlimmsten Krisen waren die vielen Kriege auf europäischem Boden. Es ist wohl immer wieder angebracht, den Wert der Einigung Europas auch als großes und erfolgreiches Friedensprojekt herauszustellen. Das muss unser wichtigster Antrieb bleiben.
Die Stabilität und Tiefe der Zusammenarbeit steht dagegen in der täglichen Bewährungsprobe der wirtschaftlichen Verknüpfungen.
Im Mai 1971, also vor 40 Jahren, musste in einer Blitzkonferenz der EWG-Finanz- und Wirtschaftsminister in Brüssel über eine Lösung der internationalen Währungskrise verhandelt werden. Das war das dominierende Thema, wie gesagt, vor 40 Jahren. Diese und andere schwierige Situationen hat Europa überstanden. Wenn es ernst wurde, war immer das Bewusstsein da, worum es geht. Es gab und gibt die Menschen, die nicht nur die Strukturen mit Leben füllen, die verfügbaren Instrumente korrekt anwenden, sondern die darüber hinaus das richtige Gespür haben, die besonders wachsam sind, und die die vorhandenen Instrumente weiter entwickeln.
Meine Damen und Herren, Jean-Claude Trichet steht für die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Er ist der Garant dafür, dass die EZB ihrer großen Verantwortung für Europa gerecht wird.
Als Präsident der Zentralbank sind Sie es, Monsieur Trichet, der maßgeblich dazu beiträgt, das Stabilitätsversprechen der Gründerväter des Euro zu erfüllen, und der Beleg dafür sind die durchweg niedrigen Preissteigerungsraten, ein unbestreitbarer Erfolg.
Als oberster Währungshüter Europas haben Sie mit Ihrem wohl durchdachten Krisenmanagement und Ihrer klugen Zinspolitik im Direktorium der EZB einer Verschärfung der Krise entgegen gewirkt und dabei auch unkonventionelle Maßnahmen, die man nicht in Lehrbüchern findet, ergriffen. Eine Katastrophe, wie die Weltwirtschaft sie im Jahr 1929 erleiden musste, ist uns dadurch erspart geblieben.
Für Sie, verehrter Monsieur Trichet, ist der Euro nicht nur ein Zahlungsmittel, sondern ein Frieden stiftendes Symbol für ein Europa, dass vor ein paar Jahrzehnten noch in Trümmern lag. Hier, in der Kaiserpfalz Karls des Großen, finden wir die Spuren des Kulturverständnisses, das unser Europa zusammenhält. Schon damals gab es eine einheitliche Währung, die mehrere Völker Europas miteinander verband. Hier entstand in dieser Zeit ein europäisches Verständnis der Bedeutung von Bildung, Wissenschaft und freien Künsten.
Der Weg zu unserem heutigen Leben in Frieden, Freiheit und Demokratie war weit. Über viele Jahrhunderte stand nicht das Verbindende im Vordergrund, sondern das Trennende.
Aber die Geschichte vom karolingischen Denar hin zum Euro ist nicht die Geschichte technischer Währungssysteme, sondern die Entwicklungsgeschichte unserer europäischen Kultur. Und die Errungenschaft von Frieden und Wohlstand ist die Geschichte von Menschen, die in den letzten 60 Jahren unser Europa gestaltet haben. Diese Geschichte sollte uns stolz machen.
An dieser Entwicklung der Europäischen Union hat insbesondere die Europäische Kommission, die 1969 als Institution mit dem Internationalen Karlspreis ausgezeichnet wurde, großen Anteil. Es ist für uns eine besondere Ehre, dass die Laudatio auf den diesjährigen Preisträger nun der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso halten wird.
Herzlichen Dank!