Festliche Versammlung!
Manchmal werden die Höhen und Tiefen einer ganzen Epoche im Lebensschicksal eines Einzelnen wie im Brennpunkt einer Lupe gebündelt beispielhaft deutlich. Welch einen Weg legte der 15jährige Junge zurück, der im Jahr jener Reichskristallnacht, 1938, mit seiner engsten Familie, angesehenen jüdischen Bürgern, sein Leben durch die Flucht aus Deutschland in die Freiheit rettete!
Siebzehn seiner Angehörigen, die zurückblieben, wurden in den folgenden Schreckensjahren ermordet. Als 22jähriger Soldat seiner neuen Heimat kehrte er 1944 zurück und betrat wenige Kilometer von hier entfernt wieder sein Geburtsland, das im Chaos der zerschlagenen Diktatur unterging. Es hatte erlebt, daß der, der die Freiheit anderer mißachtet, seine eigenen dabei verliert und versank selbst in dem Krieg, den die Gewaltherrschaft anderen gebracht hatte.
Am 3. September 1973 übernahm jener einst um sein Leben fliehende Schüler aus Fürth, nun 50jährig, die Verantwortung über die Außenpolitik der USA, des mächtigsten Landes der Erde. Vorausgegangen waren harte Arbeitsjahre und steiler Aufstieg als Professor in Harvard, Berater des Präsidenten, Chef des Stabes des Sicherheitsrates. Freiheit und Frieden blieben sein Thema, Europa uns seine Nachbarn waren wieder gefährdet.
Schon nach drei Monaten als Außenminister erhielt er den Friedensnobelpreis, in dessen Begründung es heißt: "Niemand hegt irgendwelche Zweifel über das Ausmaß seines persönlichen Beitrages zur erfolgreichen Entspannungspolitik." Und als ihm zwei weitere Jahre danach, am 15. Dezember 1975 in seiner Geburtsstadt Fürth die Goldene Bürgermedaille überreicht wurde, lautete es in der Begründung abschließend: "Niemand wird bestreiten, daß der Gelehrte und Staatsmann Henry Kissinger eine der aufsehenerregendsten Karrieren der Nachkriegszeit durchgemacht hat. Seine Verdienste um die Wandlung der amerikanischen Außen- und Rußlandpolitik, der Friedensvorbereitung im Nahen Osten, der Ermutigung der atlantischen Bündnispartner, werden Bestand haben, auch wenn er eines Tages wieder an die Universität zurückkehren sollte. Größer ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, daß er - von welcher Seite auch immer - mit gleichgesinnten Akteuren seiner Generation die Geschicke der Welt in der kommenden Epoche entscheidend mitbestimmen wird." Diese Voraussage hat sich erfüllt und erfährt gerade jetzt in diesen Tagen die dramatische Aktualisierung einer vielleicht in seinen Folgen für die Weltpolitik und insbesondere für Europa noch gar nicht abzusehenden Zäsur. Wir freuen uns nun, in dieser Situation eines neuen, in seinen Konsequenzen noch nicht zu ermessenden Entspannungsdialoges, ihn, dessen Stimme heute von allen aufmerksam gehört wird, in unserer Mitte zu sehen. Ich darf ihn in Ihrer aller Namen herzlich begrüßen, den Karlspreisträger 1987, Herrn Professor Dr. Henry A. Kissinger.
Neben ihm begrüßen wir die Karlspreisträger früherer Jahre:
Den Karlspreisträger 1951,
den damaligen Rektor des Europakollegs, Herrn Prof. Dr. Hendrik Brugmans,
den Karlspreisträger 1967, den vormaligen Außenminister der Niederlande und Generalsekretär der NATO, Herrn Dr. Joseph Luns,
den Karlspreisträger 1969,
die damaligen Mitglieder der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Herrn Vizepräsidenten Dr. Hellwig und Herrn Kommissar Dr. von der Groeben,
den Karlspreisträger 1977,
den vormaligen Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Walter Scheel,
den Karlspreisträger 1984,
den damaligen Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Prof. Dr. Karl Carstens,
für den Karlspreisträger 1986,
den Ministerpräsidenten Luxemburgs, Herrn Staatsminister Jacques Santer.
Wir freuen uns über die Anwesenheit der Herren Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika, Israels, Dänemarks, Belgiens, Spaniens, Luxemburgs, Großbritanniens, Chinas, Frankreichs, Irlands, der Niederlande und des Geschäftsträgers Griechenlands.
Willkommen sind uns für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland die Herren Vizekanzler Genscher, Bundesminister Dr. Wörner, Frau Staatsministerin Dr. Adam-Schwaetzer, und Herr Staatssekretär Prof. Dr. Schreckenberger.
Wir grüßen die anwesenden Damen und Herren des Europäischen Parlamentes, an ihrer Spitze Herrn Vizepräsidenten Alber, die Damen und Herren Abgeordneten des Deutschen Bundestages, unter ihnen den Vorsitzenden der CDU-CSU-Bundestagsfraktion, Herrn Dr. Dregger und des auswärtigen Ausschusses, Herrn Dr. Stercken,
die Damen und Herren Abgeordneten des Landtages von Nordrhein-Westfalen und für die Landesregierung Herrn Innenminister Dr. Schnoor sowie die Herren Staatssekretäre Dr. Leister und Nelles.
Unser herzlicher Gruß gilt den Repräsentanten der Europäischen Institutionen, dem Präsidenten der parlamentarischen Versammlung des Europarates, Herrn Louis Jung,
dem Vizepräsidenten der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Herrn Narjes,
dem Generalsekretär des Europäischen Parlamentes, Herrn Enrico Vinci,
für den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft, Herrn Prof. Dr. Everling,
und dem Präsidenten des Europäischen Rechnungshofes, Herrn Marcel Mart.
Unseren Willkommensgruß richten wir an
den Justizminister von Rheinland-Pfalz, Herrn Prof. Dr. Bickel,
an den Beauftragten des Saarlandes beim Bund, Herrn Minister Dr. Hahn,
den Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten der Niederlande, Herrn Dr. van der Linden,
aus Paris Herrn Senator Raymond Bourgine,
den Präsidenten des Landesrechnungshofes, Herrn Dr. Heidecke,
Herrn Bundestagspräsidenten a.D. von Hassel und
Herrn Bundesminister a. D., Prof. Dr. Heck.
Wir freuen uns über die Anwesenheit
des Präsidenten des Rates der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Herrn Ortmann und der Herren Minister Maraite und Fagnoul,
der anwesenden Ständigen Vertreter ihrer Regierungen bei der Europäischen Gemeinschaft und der NATO,
der Herren Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinigten Staaten und den Ländern der Gemeinschaft,
des Oberbefehlshabers der Vereinigten Streitkräfte Europa Mitte, Herrn General Chalupa,
und der zahlreichen Mitglieder des Consularischen Corps.
Wir begrüßen den Diözesanbischof von Aachen, Herrn Prof. Dr. Klaus Hemmerle,
den Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Herrn Dr. Murmann,
das Geschäftsführende Präsidialmitglied des Deutschen Städtetages, Herr Prof. Dr. Pappermann
sowie die Präsidenten und Generalsekretäre der nationalen Räte der Europäischen Bewegung.
Ganz herzlich willkommen sind uns
der Gouverneur der Provinz Niederl. Limburg, Herr Prof. Dr. Kremers
und die zahlreichen Herren Bürgermeister, Landräte und Beauftragten unserer Partnerstädte und der befreundeten Gebietskörperschaften aus dem In- und Ausland, unter ihnen der Oberbürgermeister von Fürth, der Geburtsstadt des diesjährigen Karlspreisträgers.
Ihnen allen, verehrte Damen und Herren, die Sie an dem heutigen Ereignis hier im Saale teilnehmen oder die über Rundfunk und Fernsehen mit uns verbunden sind, gilt unser herzlicher Gruß!
Verehrte Anwesende!
Es gibt politisches Handeln, das nicht nur dem Gedränge des Tages dient und sich hierin erschöpft, sondern die gestalterische Kraft hat und fortwirkt. Zwei Folgen aus Henry Kissingers Wirken sind uns gegenwärtig besonders nahe:
In diesem Jahr feiert Berlin sein 750jähriges Bestehen. Grundlage dafür, daß der Westteil der Stadt dies nicht unter angeordnetem Jubel, sondern als Teil der Bundesrepublik in Freiheit und in der Zukunftshoffnung freier Bürger tun kann, Grundlage hierfür ist nächst der mutigen Standhaftigkeit der Berliner selbst das Viermächteabkommen vom 3. September 1971. Bei seiner Konzeption hat der damalige Beauftragte des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Henry Kissinger, nicht nur mit seinen englischen und französischen Kollegen alle erforderliche Festigkeit beweisen, sondern hat er nach vorbildlicher Konsultation und Beratung mit der damaligen Bundesregierung die Interessen des freien Deutschland und des freien Teiles von Berlin eingebracht und gewahrt.
Wäre dies nicht geschehen, so könnten wir der Jubiläumsfeiern heute nicht froh werden, so wäre auch Westberlin wohl nicht mehr eine Enklave der Freiheit in einem System, das sich mit Mauer und Stacheldraht und Schießbefehl umgibt; Henry Kissinger und das Jubiläum des freien Berlin stehen daher zueinander in engstem Verbund. Aber das Schicksal Berlins ist eingebettet - wenn auch in einer Extremposition - in das Schicksal Europas, das seinerseits eng verflochten ist mit Wohl und Wehe der Mitwelt, aufgeteilt in Interessensphären und Bündnisblöcke.
Wer über Europa und seine Zukunft nachdenkt, muß daher auch nachdenken über Europa und seine Partner, über das Selbstverständnis des Kontinentes und sein Gewicht im Verband. Ist es Mündel oder Partner, Objekt anderer oder verantwortliches Subjekt, sich selbst entmachtende Rangelrunde oder ernstzunehmende, souveräne Kraft, für einen starken Partner nörgelnder Balast oder achtenswerter Kopilot? Welche von beiden Möglichkeiten beschreibt den derzeitigen Zustand und welche wird von Europa und von den USA als erstrebenswert angesehen?
Das ist das Thema auch dieser Stunde. Für Professor Kissinger ist diese Frage eindeutig zu beantworten und zu belegen. Nachdem er 1973 als Berater für die nationale Sicherheit in den Dienst der Regierung getreten war, hielt er seine erste Rede zu dem Thema Europa. Ich darf aus ihr zitieren: "Wir werden die Bestrebungen zur Vereinigung Europas auch weiterhin unterstützen. Gestützt auf die Grundsätze der Partnerschaft werden wir Zugeständnisse machen, um diese Entwicklung zu fördern. Wir erwarten jedoch, daß die Europäer uns im Geiste des gegenseitigen Gebens und Nehmens entgegenkommen werden."
Und als Außenminister inspirierte er maßgeblich die dann offiziell vom Präsidenten so formulierte Haltung seines Landes: "Ich gebe einer Politik den Vorzug, in der Europa selbständig handelt, jedoch parallel zu den Vereinigten Staaten. Ein starkes, gesundes und unabhängiges Europa ist gut für das Gleichgewicht der Kräfte in der Welt. Wenn die Vereinigten Staaten zu viel Einfluß gewinnen wollten, hätte dies nur negative Folgen. Was wir wünschen, ist eine freundschaftliche Konkurrenz mit den Vereinigten Staaten." Ein stärkeres und einiges Europa, das mit einer Stimme spreche, zu einem gleichwertigen Gesprächspartner werde und damit zu einer produktiveren atlantischen Gemeinschaft beitragen könne, das war und ist seine Zielvorstellung. Das war und ist auch die unsrige. Aber wir müssen feststellen, daß sie bis heue nicht erreicht wurde, von Europa selbst entgegen den eigenen Interessen nicht mit der dringend notwendigen Konsequenz erstrebt wird. Die Folgen haben beide Partner zu tragen, und sie sind für Europa dramatisch schwer. Sie gehen weit hinaus über Differenzen mit Textilhandelsquoten, über Streit um Marktanteile amerikanischer oder europäischer Agrarprodukte, über europäische Abhängigkeiten von Dollarschwankungen, sogar über den Wettlauf in einzelnen Technologiebereichen. Die Folgen der europäischen Einigungsdefizite beeinflussen auf gravierendste Weise das gesamte Kräfteverhältnis in dem Dreieck Vereinigte Staaten - pazifischer Raum - Europa und offenbaren gerade in den letzten Tagen in den Überlebensfragen von Sicherheit und Abrüstung eine europäische Handlungsschwäche gegenüber den Verhandlungszügen der Großmächte, die ebenso atemberaubend wie selbstverschuldet ist. Europa erwartet wohl mit Recht von den Vereinigten Staaten substantielle Konsultationen und Wahrung der Interessen. Aber Europa ist gleichzeitig ein überaus mühsamer Partner: Langwierige Konsultationen mit zwölf einzelnen Regierungen, die als Teile einer Gemeinschaft im März dieses Jahres den 30. Jahrestag ihrer Gründungsverträge gefeiert haben, könnten längst vereinfacht sein, wenn nicht jedes Gemeinschaftsland die Fiktion einer längst ausgehöhlten Souveränität zum Symbol seiner Würde machen würde. Nicht nur der mühevolle Akkord unter zwölf, sondern auch noch vorherige Absprachen innerhalb von Koalitionen einzelner Regierungen hemmen die Reaktionsfähigkeit. Spätestens seit Reykjavik ist europäische Verwirrung unübersehbar geworden. Gewiß, es gibt auch Fortschritte in der außen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit. Aber wenn wir Europäer uns nicht so fatal viel Zeit lassen würden, bis endlich der Bundesstaat Europa Wirklichkeit wird, die Kraft zusammenfaßt und mit einer Stimme spricht und handelt, dann wären wir heute zu glaubwürdigerem respektablerem Handeln in der Lage, das auch dem Partner im Bündnis hilft, statt ihn zu belasten. Dabei stehen wir heute nicht zum ersten Male vor solch einer Situation. Wir leisten uns den gefährlichen Luxus der Wiederholung. Henry Kissinger hat in den Abkommen Salt I 1972 und Salt II 1973 die Grundlage zu allen weiteren Abrüstungs- und Rüstungsbegrenzungsverhandlungen, auch zu den gegenwärtigen, gelegt und dabei bereits widersprüchliches europäisches Verhalten durchgestanden, indem er erlebte, wie die Partner, die vorher das Zaudern der USA beklagten, dann die Initiativen mit unterschiedlichen Vorbehalten kritisierten. Aber der Außenminister Kissinger hat sogleich in umsichtigen Konsultationen den Akkord des gesamten Bündnisses ermöglicht und die Interessen der europäischen Partner eingebracht. Wir können nur hoffen, daß dies auch heute wieder gelingt.
Diese Erfahrungen haben wohl den Wunsch Henry Kissinger nach einem vereinten Europa gestärkt. Seine Einsicht und Weitsicht erkannten die Notwendigkeit der Union Europas. Jedenfalls hat er 1975 bei der Überreichung des Grenville Clark Preises in Paris an Jean Monnet, den Karlspreisträger von 1953, die Worte gerichtet: "Ich möchte Ihnen sagen, daß die Menschen der gegenwärtigen Generation, die mit der Führung der politischen Geschäfte beauftragt sind, Ihren - Monnets - Traum für wohlbegründet halten, und daß dieser Traum auf dem besten Wege ist, sich so zu verwirklichen, wie Sie ihn von Anfang an gesehen haben. In der Tat scheint die Schaffung eines geeinten Europa unmittelbar vor uns zu stehen. Die Vereinigten Staaten leihen ihm ihre volle Unterstützung."
Nun allerdings müssen wir heute feststellen, daß die Schaffung des geeinten Europa wider alle Vernunft so unmittelbar nicht bevorstand. Leo Tindemans verfaßte erst 1975 im Auftrage der anderen Regierungschefs seinen großen Bericht darüber, was denn eigentlich unter Europäischer Union zu verstehen sei und erhielt im Jahr darauf hierfür den Karlspreis.
Das Europäische Parlament legte 1982 einen Verfassungsentwurf für den Bundesstaat Europa vor, der gegenwärtig in fast allen Nationalparlamenten in zweiter Lesung ansteht, und endlich haben die Regierungschefs im Dezember des vorigen Jahres in der sogenannten Luxemburger Akte vertraglich den Weg zur Europäischen Union festgelegt und ebenfalls zum ersten Male die gemeinsame Europäische Außenpolitik völkerrechtlich verankert.
Aber schon melden sich wieder die nationalen Bremser, die die ebenfalls auf derselben Konferenz in Luxemburg als Etappenziel beschlossene Vollendung des gesamten Europa-Binnenmarktes bis Ende 1992 unterlaufen, und die die Europäische Gemeinschaft zum Watschenmann aller Ungereimtheiten nationaler Kleinstaatenpolitik machen wollen. Da soll es nun mit der Schaffung einer autonomen europäischen Währung noch seine Weile haben zugunsten nationaler Münzrechte. Der gemeinsame Technologiemarkt Europas soll vor nationalen Gehegen haltmachen. Wie jedoch von diesen Wachstumsimpulse ausgehen und neue Arbeitsplätze entstehen sollen, bleibt ein Geheimnis.
Das Rendezvous Europas mit seiner eigenen Chance darf nicht vertagt, der Elan des großen Binnenmarktes der 320 Millionen Europäer darf nicht beurlaubt, die dynamische Freisetzung der Kraft des ganzen Kontinentes und damit im Ergebnis seine Selbstbehauptung darf nicht aufs Spiel gesetzt werden!
Es paßt dazu, daß Hand in Hand mit der Ausdünnung europäischer Dynamik eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa einhergeht, bzw. zum strategischen Konzept einer politischen Richtung gehört, die von gleicher Distanz Europas zu beiden Supermärkten über ein Raus aus der NATO bis hinein in das von Gorbatschow propagierte "gemeinsame Haus Europa" führt, ohne zu sagen, in welchen Raum dieses Hauses der übermächtige Vermieter ein Europa sperren würde, das sich dann anderen Mietern beigesellen müßte, denen bislang Freiheit und Selbstbestimmung verwehrt ist. Leider wird die auf Distanz zwischen Europa und Amerika hinarbeitende politische Tendenz auch nicht durch gegenseitige kulturelle Erschließung ausgeglichen und sind zum besseren gegenseitigen menschlichen Verständnis manche Medienbeiträger wenig hilfreich. Denver-Clan und Dallas-Serie vermitteln uns Europäern ebensowenig ein gültiges Amerikabild, wie umgekehrt etwa dort modisch gewordene Nazifilme den Europäer, bzw. den deutschen zeigen und näherbringen.
Glücklicherweise gibt es noch Leonhard Bernstein und Herbert von Karajan.
Es bedarf insgesamt schon unserer Aufmerksamkeit, wenn in der öffentlichen Diskussion zunehmend Vokabeln von der "Selbstbehauptung Europas" oder der "Europäisierung Europas" eingeführt werden und damit nicht eine Stärkung der Europäischen Einigung, sondern eine Trennung von dem Bündnis der freien Völker des Westens gemeint ist. Der Sozialdemokrat Jens Otto Krag hat als Dänischer Ministerpräsident bei seiner Karlspreisverleihung 1966 hier an dieser Stelle formuliert: "Die Konsolidierung der politischen Stabilität in Europa, die in der Nachkriegszeit stattgefunden hat, ist im wesentlichen Grade auf das Bestehen der NATO und auf den Umstand zurückzuführen, daß die NATO ein Faktor ist, der den Frieden stabilisiert."
Oder um zeitnäher zu sein, darf ich Bundespräsident von Weizsäcker aus seiner Rede vom 13. Februar dieses Jahres in Bremen zitieren: "Unsere Zugehörigkeit zum Westen beruht auf unserer Entscheidung für die Grundwerte des freiheitlichen und sozialen Rechtsstaats. Sie ist endgültig und unwiderruflich. Es ist diese geistige und humane Substanz, die uns nicht zu opportunistischen, sondern zu dauerhaften und verläßlichen Partnern der Europäischen Gemeinschaft und der Allianz macht."
Und um es schließlich auf den aktuellen Punkt zu bringen, darf ich den Britischen Außenminister aus einer Stellungnahme vom Neunten dieses Monats zu Wort kommen lassen: "Nach dem Gipfel in Reykjavik ist es in zunehmendem Maße deutlich geworden, daß in Fragen der Verteidigung und der Sicherheit der Bedarf besteht, eine deutliche und charakteristische europäische Stimme zu entwickeln. Natürlich muß die Allianz insgesamt als das Forum, in dem die Entscheidungen getroffen werden, erhalten bleiben. Wir müssen jedoch einen bedeutenderen europäischen Pfeiler der Allianz aufbauen."
Damit, verehrte Damen und Herren, sind wir wieder genau bei den Vorstellungen, die Henry Kissinger mehr als ein Jahrzehnt zuvor formuliert hat und die gerade jetzt wieder eine entscheidende Bedeutung für Europa erhalten haben.
Wird Europa jetzt endlich unter dem Druck der Ereignisse den Sprung nach vorne tun?
Noch sind wir Herr unserer Entscheidungen, leben in Freiheit und in Frieden. Für beides haben wir Henry Kissinger zu danken, der seine Lebensarbeit beidem widmet.
Als 22jähriger amerikanischer Soldat kehrte er nach Deutschland zurück, als die Diktatur zusammenbrach und die für die Länder der europäischen Gemeinschaft bisher längste Epoche des Friedens und der Freiheit begann. Hier im Saale sind Zeugen aus dem kleinen Heidedorf Grotenrath anwesend, die erlebt haben, daß der junge Mann nicht als Rächer zurückkehrte, sondern der Bevölkerung half, vermittelte, ausglich, Not linderte, wo und wie er nur konnte. Genauso handelte er später als Staatsmann, als die Beziehungen der Völker zueinander seine Angelegenheit waren, die Neue Welt und der alte Kontinent miteinander Frieden und Freiheit sicherten und er darauf drängte, daß den Vereinigten Staaten von Amerika alsbald die Vereinigten Staaten von Europa zur Seite ständen und miteinander auf Dauer so wie im Inneren auch nach außen den Frieden bewahrten. George Marshall, der Karlspreisträger von 1959 gab jenem Plan den Namen, der vor fast 40 Jahren die Vereinigten Staaten bewegte, uns den neuen Start als freies Land zu ermöglichen.
Henry Kissingers Name ist das Symbol der Politik der Entspannung, des Friedens, der Abrüstung und der Partnerschaft. Daher hat das Direktorium der Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachenbeschlossen, Ihnen, Herr Professor Dr. Kissinger, den Karlspreis für das Jahr 1987 zu verleihen.