Tief bewegt bringe ich Ihnen meinen Dank für Ihre Freundlichkeit und für die Ehre, die mir zuteil wurde, zum Ausdruck. Ich danke dem Kuratorium der Stiftung für die hohe Auszeichnung, sowie für die Unterstützung der Bürger der Stadt Aachen, der Landesregierung, des Vizebundeskanzlers und Außenministers Herrn Hans-Dietrich Genscher, des Bundeskanzlers Herrn Helmut Kohl, des Bundestages und des deutschen Volkes.
Es gibt für mich keine größere Anerkennung als eine, die im Namen einer ganzen Nation zum Ausdruck gebracht wird, da ich das Gefühl habe, daß in diesem Fall nicht eine kleine Elite den Vertreter und die Tätigkeit der Elite eines anderen Landes anerkennt, sondern Hunderttausende einfacher Menschen, der Staatsbürger ihr Herz den Bürgern eines anderen Staates zuwenden.
Ich bin nämlich der Meinung, daß diese hohe Auszeichnung eigentlich dem ungarischen Volk gebührt. Ich bin der Überzeugung, daß ich meine politischen Schritte nie hätte machen können, wenn Millionen ungarischer Bürger mir nicht beigestanden wären.
Es bleibt für mich unvergeßlich, wie mir viele meiner Landsleute nach dem 10. September 1989 ihre Zustimmung mit unseren Maßnahmen im Interesse der Freiheit der DDR-Staatsbürger telegraphisch, telefonisch und persönlich bekundet haben. Dies hat mich nicht allein davon überzeugt, daß wir den richtigen Weg beschreiten, sondern es hat uns auch geholfen, die Prüfungen zu bestehen. Denn neue Gedanken und Taten werden oft auch von Skepsis begleitet. Auch diesmal sind wir auf Unverständnis, sogar auf Behinderung gestoßen. Doch wir mußten diesen Kampf führen, weil der Übergang von der Diktatur zur Demokratie ausschließlich als Ergebnis eines beharrlichen Kampfes zum Erfolg gebracht werden kann.
Wir Ungarn haben nicht anderes getan, als die unnatürlichen Verhältnisse zu beseitigen und haben dem Erfolg des nüchternen Menschenverstandes Spielraum gewährt. Der Vernunft, die die Zivilisation zustande gebracht hat und die unser aller Wohlergehen sichert.
Die Geschichte der Menschheit verlief nie geradlinig. In allen Epochen gab es auch Irrwege und Umwege und es gibt kaum eine Nation, deren Entwicklung ungebrochen gewesen wäre.
Die Völker Mittelosteuropas haben besonders große Verluste erlitten. Die Kriege haben unermeßliche Blutverluste verursacht, und als endlich Frieden war, hat eine Politik die Oberhand gewonnen, die auf eine den menschlich-sozialen Gesetzen fremde Ideologie beruhte und uns der Möglichkeit des wirklichen Fortschritts beraubte.
Das Ungarntum hat auch im XX. Jahrhundert riesige Verluste erlitten. Für Ungarns Engagement im Ersten Weltkrieg haben die siegreichen Großmächte zwei Drittel des Territoriums des Landes abgetrennt und damit fast die Hälfte der ungarischen Bevölkerung unter fremde Herrschaft gezwungen.
Das furchtbare Abkommen der Großmächte hat nach dem Zeiten Weltkrieg das ungarische Volk weiteren Prüfungen ausgesetzt. Die ungerechten Entscheidungen des Friedensvertrages von Trianon wurden bestätigt und darüber hinaus wurde das Land einer Ordnung ausgeliefert, welche sich als Anachronismus der Zivilisationsentwicklung erwiesen hat.
Das Abkommen von Jalta ist inzwischen zusammengebrochen, die ungarische Nation hat, zusammen mit anderen Völkern Mitteleuropas, die gesellschaftliche und politische Selbstbestimmung errungen und die Möglichkeit zu souveränem Handeln geschaffen. Die völkerfeindlichen Friedensverträge von Paris und die von Versailles, auf denen sie basierten, bilden bis heute ständige Quellen von Spannungen und Konflikten. Es gibt in Ungarn keine ernste politische Kraft, die sich einen Revision dieses Vertrages zum Ziel setzen würde. Es ist jedoch eine berechtigte Forderung des Ungarntums, daß ihm moralisch-politische Gerechtigkeit widerfährt und für ihre in der Minderheit lebenden Landsleute endlich die uneingeschränkte Gewährung der individuellen und kollektiven Rechte gesichert wird. Ich bin der Meinung, daß die Entwicklung der Demokratie und der Politik der nationalen Fairness ein vitales Interesse der Völker von Mittelosteuropa darstellt.
Der nationale Volkskampf gegen den Stalinismus ist wohl er komplizierteste Krieg, den die Menschen je geführt haben. Von der Dauer her gesehen übertrifft er den Dreißigjährigen Krieg, die Rückzugsgefechte erfordern auch heute noch riesige Anstrengungen, da die alte, überholte Ordnung tief verwurzelt ist in der sowjetischen und anderen mittel-osteuropäischen Gesellschaften und ihre Nutznießer noch da sind, die für ihre Privilegien auf Tod und Leben kämpfen. Und kaum ausrottbar ist sie noch in unseren Gedanken und Reflexen vorhanden.
Die Verbreitung der Demokratie, die Schaffung des Pluralismus und des Rechtsstaates in Mittelosteuropa sind ein gemeinsames Anliegen nicht nur der Region, sondern des ganzen Kontinents, sogar der ganzen Menschheit. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, daß der heroische Kampf, der in unserer Region geführt wird, für ihn gleichgültig sein könnte. Wenn wir die Demokratie, die neuen zivilisierte Ordnung von Moskau bis Berlin und von Sofia bis Warschau nicht zum Erfolg bringen, wenn die alte schon überholte Ordnung bestehen bleibt und sich vielleicht noch verstärkt, so würde dies Europa in seinen Grundlagen bedrohen.
Ohne das einheitlich demokratische Europa droht aber der ganzen Welt die Herrschaft der Willkür und der Diktatur. Ohne Demokratie gibt es keine Gerechtigkeit, können die Gleichberechtigung der Bürger, die Freiheit des Denkens und der Meinungsäußerung, der Artikulierung der Interessen sowie die Organisationsfreiheit nicht zur Geltung kommen.
Ich bin stolz darauf, daß wir, Ungarn, als eine der Ersten den Anarchismus des Stalinismus erkannt und uns dagegen gestämmt haben. Wir haben erkannt, daß nur jene Nation frei werden kann, welche die Wahrheit erkennt.
In diesen Wochen und Monaten hat Ungarn einen Weg betreten, der zur Schaffung der Demokratie und des demokratischen Rechtsstaates und zu einer effektiv wirkenden, den Wohlstand der Bürger siechenden Wirtschaft führen kann. Dieser Weg ist holprig und das Gewicht der auf dem Rückzug befindlichen Kräfte ist noch sehr groß, die zu lösenden wirtschaftlich-sozialen Aufgaben sind enorm. Um unsere Sache zum Erfolg zu bringen, brauchen wir Ihre Sympathie und Ihre Unterstützung. Ich bitte Sie, mit allen in Ihren Kräften stehenden Mitteln das nach vier Jahrzehnten zum ersten Mal wirklich frei und demokratisch gewählte Parlament zu unterstützen. Es geht um nicht weniger, als daß sich die ungarische Nation der großen Gemeinschaft der Völker des zivilisierten Europas anschließt.
Ich bin stolz darauf, daß wir Ungarn als Erste die epochale Bedeutung der Politik Michail Grobatschows erkannt und den dadurch geschaffenen Freiraum genutzt haben. Als Erst wagten wir es, mit den schlecht definierten Bündniserwartungen, den nationalen Interessen zuwiderlaufenden Verpflichtungen, sowohl in der Frage des Rechtes des deutschen Volkes, als auch in anderen sensiblen Fragen Europas und der Welt zu brechen.
Wir haben den jahrzehntelangen Kalten Krieg gegen andere Völker und die auf engstirnigen politischen Interessen basierenden Vorurteile abgelehnt. Die Republik Ungarn ist auf diese Weise zu einem Land geworden, das gegenüber allen Menschen guten Willens, gegenüber allen demokratischen Staaten offen und zur Zusammenarbeit bereit ist.
Man kann eine Zeitlang mit Mitteln der Gewalt über das Denken und Handeln der Menschen und über die Gesellschaft herrschen, aber man kann ihren Freiheitswillen nicht brechen. Das Wichtigste für die Erkämpfung der Freiheit ist, daß die universelle Durchsetzung der Menschenrechte uneingeschränkt gesichert wird. Dazu brauchen wir in Europa, daß sich der Kontinent in eine auf den gemeinsamen Werten basierende Rechtsregion umwandelt, in der die Durchsetzung er Menschenrechte uneingeschränkt gesichert wird. Dazu brauchen wir in Europa, daß sich der Kontinent in eine auf den gemeinsamen Werten basierende Rechtsregion umwandelt, in der die Durchsetzung der Menschenrecht und die humanitäre Zusammenarbeit der Länder gleichgewichtig sind oder sich in einer ähnlichen politischen Praxis verkörpern.
Ungarn hat sich die Freiheit des selbständigen Handelns und der nationalen Interessen errungen. Wir sind uns aber dessen bewußt, daß sich die praktische Geltendmachung der Freiheit nicht gegen andere Völker richten, nicht zu Lasten anderer Nationen verwirklicht werden kann. Wir werden uns bemühen, unser nationales Interesse mit den Interessen der Gemeinschaft der freien Nationen Europas zu harmonisieren und so die Möglichkeit für unser eigenes Wohlergehen zu schaffen.
Es liegt in unser aller Interesse, daß wir uns von der Bevormundung der Großmächte befreien, daß wir ein Europa schaffen, in dem neben der Solidarität alle Nationen frei sind und die Identität des Denkens, des Handelns und der Werte zur Geltung kommt.
Ich glaube daran, daß der Teilung unseres Kontinents, dem bedrückenden Gewicht der Waffen, der potentiellen Basis der Konfrontation, ein Ende gesetzt wird. Meiner Auffassung nach haben die Nationen Europas schon den neuen Weg der Entwicklung beschritten. Eine entscheidende Etappe hat ihren Anfang genommen, ein neuer europäischer Status quo zeichnet sich ab. Die Verlagerung der Kräfte erfolgt zum ersten Male in der Geschichte des Kontinents nicht durch bewaffnete Konflikte, vielmehr ist es der Drang der Völker nach Selbstbestimmung, der neue Grundlagen schafft. Die vertragliche Verankerung des entstandenen Status quo ist unerläßlich, weil wir nur auf diese Weise die positiven Prozesse unumkehrbar machen können.
Es ist deutlich geworden, daß die Nationen Europas nun frei, nach eigenem Empfinden und ohne äußere Eingriffe ihre eigene politische Ordnung, ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung bestimmen können. Ebenso haben sie auch das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie sich irgendeinem Bündnissystem anschließen wollen oder nicht. Sie müssen es nutzen, daß die Schlußakte von Helsinki und die universell gültigen Dokumente der UNO für die Selbstbestimmung einen internationalen politischen Rahmen bieten.
Die in Europa stattfindenden gesellschaftlichen Umwälzungen, die von entscheidender Bedeutung sind, können die Möglichkeit der Gestaltung einer neuen sicherheitspolitischen Struktur schaffen. Im Wesentlichen gibt es den politisch-ideologischen Grund der Konfrontation zwischen dem Warschauer Vertrag und der NATO nicht mehr und damit ist die Teilung des Kontinents in militärische Blöcke überholt. Die Irrealität der militärischen Bedrohung vom Westen gegen Mittelosteuropa und der verstärkte Anschluß der sich demokratisierenden Staaten der Region an die politischen und wirtschaftlichen Integrationen Westeuropas stellen den Sinn der Existenz der beiden Militärblöcke in ihrer früheren Form in Frage.
Nach meiner Beurteilung stellt der beschleunigte Anschluß der mittelosteuropäischen Länder an die westeuropäischen Integrationen den Weg der Entwicklung dar. Dies bedeutet gleichzeitig einen Krisenvermeidungs- und Stabilisierungsprozeß und die Schaffung des gesamteuropäischen Integrationsmechanismus. Auf militärischem Gebiet muß aber die graduelle Konvergenz des Warschauer Paktes mit dem nordatlantischen Bündnis ausgestaltet werden. Mit Rücksicht auf die instabile Lage der Welt außerhalb des europäischen Kontinents ist es notwendig, daß wir das System der neuen europäischen Sicherheitsstruktur in den gesamteuropäischen Rahmen einbetten, was gegen jederlei äußere Bedrohung eine wirksame Verteidigung bedeuten kann.
Die Entwicklung der neuen gesamteuropäischen Integrationsprozesse muß Schritt für Schritt, aber in einem beschleunigten Tempo stattfinden. 1990 muß die Vereinbarung über die radikale Reduzierung der europäischen konventionellen Waffen und der Streitkräfte abgeschlossen werden. Gleichzeitig ist es zweckmäßig, Verhandlungen über die politische, militärische Zusammenarbeit des Warschauer Vertrages und der NATO, über die Errichtung ihrer gemeinsamen Institutionen zum Monitoren und zur Harmonisierung der Programme, über die Überprüfung und Modernisierung der Funktionen der Bündnisse in die Wege zu leiten. Es kann ein realistisches Ziel sein, bis Mitte der 90er Jahre die Grundlagen eines neuen europäischen Bündnissystems zu schaffen.
Die beiden Teile des Kontinents können nur zueinanderfinden, wenn sie von den Zielen der Demokratie, der Menschenrecht, der Universalität der sozialen Marktwirtschaft und der Schaffung der gemeinsamen Sicherheit geleitet werden. Wir Ungarn werden in diesem für Europa geschichtlichen Umbruch aktive Partner aller europäischen Nationen sein.
Das Schicksal läßt jetzt Ihnen, den Deutschen, Gerechtigkeit widerfahren. Nach mehr als vier Jahrzehnten schaffen Sie sich Ihre vereinigte Heimat. Ich begrüße Sie aufs Herzlichste in dieser historischen Stunde und bin stolz darauf, daß wir Ungarn, wenn auch im bescheidenen Maße, zur Verwirklichung Ihrer jahrzehntelangen Wünsche beitragen konnten.
Ich bin der Überzeugung, daß das einheitliche Deutschland die gesamteuropäischen Integrationsprozesse voranbringen wird und in der Förderung des Anschlusses der mittelosteuropäischen Länder an Westeuropa eine herausragende Rolle spielen wird. Deshalb steht die Einigung der zwei deutschen Staaten im Interesse aller Länder unserer Region.
Ich bin der Zuversicht, daß das geeinigte Deutschland seine wirtschaftliche Kraft und seinen politischen Einfluß im Interesse der Schaffung eines einheitlichen Europas einsetzen wird. Dieses Deutschland kann auch in der weiteren radikalen Reduzierung der Massenvernichtungswaffen und der Streitkräfte eine bahnbrechende Rolle übernehmen.
Die Ausgestaltung des neuen gesamteuropäischen Sicherheitssystems bedingt die Eingliederung des geeinigten Deutschlands in das Nordatlantische Bündnis. Nur auf diese Weise kann die Möglichkeit seiner gleichberechtigten Beteiligung an den neuen europäischen Prozessen und die Wahrnehmung seiner Verantwortung für das Schicksal des demokratischen Europas gesichert werden.
Eine verantwortungsvolle Rolle kommt dem geeinten Deutschland auch bei der Schaffung des gesamteuropäischen Garantiesystems der Menschenrechte und der Rechte der in Europa lebenden nationalen Minderheiten zu. Ich bin dessen sicher, daß der deutsche Staat, so wie bisher, auch in Zukunft in den darauf gerichteten internationalen Anstrengungen eine Vorreiterrolle spielen wird.
Für Ungarn ist die Beziehung zu Deutschland von besonderer Bedeutung. Zu den ungarischen demokratischen Bestrebungen, zu unserer wirtschaftlich-sozialen Erneuerung haben wir das meiste Verständnis und die aktivste Unterstützung seitens der Bundesregierung der BRD bekommen. Die ungarisch-deutsche Zusammenarbeit hat eine bahnbrechende Roll ein dem Verhältnis zwischen Ost und West erfüllt, unsere Interessen stimmen auch in Mittelosteuropa überein oder stehen einander sehr nahe. Sicherlich wird sich unsere Beziehung durch die Entstehung des geeinten Deutschlands noch weiter verstärken.
Sie haben im Laufe der vergangenen Jahrzehnte für die friedliche Entwicklung Ihres eigenen Staates und Europas viel getan. Sie haben bewiesen, daß die Deutschen mit einer guten Politik die Prosperität unseres Kontinents entscheidend beeinflussen können. Ich bin sicher, daß das geeinte demokratische Deutschland einen sehr wichtigen Faktor bei der Schaffung eines geeinten Europas bildet und diese Entwicklung positiv beeinflußt.
Ich erinnere mich daran, was Franz Josef Strauß, der große Politiker, einmal in Budapest erzählt hat: bei Nacht träume er darüber, daß sich die beiden deutschen Staaten einigen. Am Morgen erwache er aber und müsse feststellen, daß es lediglich ein schöner Traum war. Und jetzt wird dieser Traum einer Nation zur Wirklichkeit, woran auch die besten Männer nur mit Sehnsucht gedacht haben.
Ich wünsche allen Deutschen, daß sie Wohlergehen und ein Leben in Frieden in ihrer wiederentstehenden Heimat finden.
Ich wünsche Ihnen allen weiterhin Erfolg, Glück und Gesundheit. Mögen Ihre Träume zur Wirklichkeit werden und Ihr Erwachen immer freudevoll sein.
Ich bedanke mich bei Ihnen recht herzlich für die hohe Auszeichnung und für Ihre Aufmerksamkeit. Ich kann Ihnen versichern, daß ich mich dieser Auszeichnung würdig erweisen werde.