Meine Herren Präsidenten, Königliche Hoheit, Exzellenzen, meine Damen und Herren, insbesondere diejenigen zehn oder elf in diesem Saal, die noch nicht begrüßt worden sind, aber vor allem: lieber György Konrád, das Votum der Jury für den Träger des diesjährigen Internationalen Karlspreises ist eine ausgezeichnete Entscheidung, und daher ist es mir eine ganz besondere Freude, diesen Preisträger und seine Verdienste um ein demokratisch ungeteiltes Europa zu würdigen.
Es ist allerdings auch eine mutige Entscheidung, die von der bislang üblichen Praxis etwas abweicht. Sie haben ganz Recht, mir geht es genauso: Ich bin sehr damit einver-standen.
Zwar wurden mit dem ersten Karlspreisträger, dem Grafen Coudenhove-Kalergi, mit meinem Freund Václav Havel und Bronislaw Geremek auch Publizisten und Literaten ausgezeichnet, aber im Vordergrund stand dabei immer der Politiker und erst an zwei-ter Stelle der homme des lettres.
Im traditionellen Sinne ist György Konrád kein Politiker. Er selber würde sich wahr-scheinlich auch nicht so sehen und schon gar nicht so bezeichnen. Das heißt aber e-ben nicht, dass er unpolitisch wäre. Er ist sehr wohl ein homo politicus, und zwar einer mit erheblicher Ausstrahlung, der beispielsweise 1997 als erster Nicht-Deutscher, Sie bemerken die feine Umschreibung der Tatsache, dass er Ausländer ist, die Präsident-schaft der Berliner Akademie der Künste mit ihrer Ost und West umspannenden In-tegrations- und Vermittlungsfunktion übernahm.
Aber sein Ruhm gründet sich doch in erster Linie auf sein literarisches Schaffen. György Konrád ist einer der bedeutendsten Repräsentanten der ungarischen Literatur und unterstreicht gerade damit die Bedeutung Ungarns für Europa. Er ist eine literari-sche Autorität von europäischem Rang. An erster Stelle steht daher der Schriftsteller György Konrad.
So birgt diese Karlspreisverleihung eine Chance: Wir können eine heute meist überse-hene oder auch vernachlässigte Dimension Europas wieder in den öffentlichen Blick bringen, seine geistigen Fundamente, seinen besonderen geistigen Auftrag, seine dar-in begründeten Ordnungsprinzipien.
Die Aufgaben, vor denen die europäische Politik steht, wie die Osterweiterung oder die Reform der Institutionen, das sind gewaltige Aufgaben, für deren Lösung noch viele Politiker Karlspreise verdienen würden oder, sagen wir es deutlicher, verdienen könn-ten.
Die Jury mag gespürt haben, dass neue Entwicklungen wie der wieder erwachende Nationalismus, die aufbrechenden Minderheitenprobleme, die Suche nach Identität und Selbstvergewisserung mit den herkömmlichen technischen Mitteln der Politik und der Diplomatie nicht zu lösen sind, dass die Fragen jenseits von Macht und Markt die Men-schen heute mehr bewegen und dass Europa nur durch eine gemeinsame Antwort auf diese Fragen, also durch kulturelle und geistig fundierte Antworten seine alte Faszina-tion und seine Strahlkraft wieder erhält.
Die Gründerväter der Europäischen Union einte die Vision, aus dem gemeinsamen und schrecklichen Schicksal des Kontinents heraus eine gemeinsame positive Zukunft zu entwickeln. Welche Vision, meine Damen und Herren, eint uns eigentlich heute, wenn wir über die Finalität Europas nachdenken? Wahrscheinlich diskutieren wir bereits, ob es eine solche Finalität gibt und ob es sie – Gott sei´s geklagt – geben darf. Die Ant-wort auf die Frage „Was ist Europa, wofür steht Europa, worin besteht seine Seele, woraus definiert sich Europa?“, die war für Männer wie Konrad Adenauer, Robert Schuman und Alcide de Gasperi angesichts der Zerstörung des Geistes durch Biolo-gismus und Materialismus einfach. Sie fanden sie im christlichen Glauben und damit in der alten symbolischen Idee des „christlichen Abendlandes“ - Sie hören bitte die Anfüh-rungszeichen -, das die Vielfalt der Völker ideell zusammenhielt und sie als kulturelle Gemeinschaft begreifen ließ, aus eigener historischer Erfahrung, mit Leidenschaft und Zähigkeit haben sie diese Vision wiederbelebt.
Heute, wo die historische Erfahrung verblasst, sind uns die Vorteile des geeinten Euro-pas so selbstverständlich, dass die Alternative - nach einem Wort von Hans Magnus Enzensberger - eher „Brüssel oder Europa“ zu lauten scheint.
Die Entscheidung der Jury will dem offenbar entgegen steuern, indem sie den Preis an einen Mann des Geistes und der Kultur, des Wissens und des Gewissens vergibt, an einen Mann, der im zweifachen Sinne aus einem anderen Europa kommt, einmal aus dem geistigen Europa, das aber vielleicht das eigentliche Europa ist, und zum Zweiten aus dem Europa, das uns Westeuropäern so lange als Osteuropa galt, weil es jenseits eines Eisernen Vorhangs lag, das aber geistig nie aufgehört hat, Mitte Europas zu sein.
Die Entscheidung für den Schriftsteller György Konrád ist daher pragmatischer Art. Es ist eine Entscheidung für ein Europa der Zivilcourage, für ein Europa der unbedingten Wahrheit, des unbeugsamen Freiheitswillens, des kompromisslosen Humanismus und des Bekenntnisses zum Frieden. Es ist zugleich eine Entscheidung für kritische Intelli-genz, für Nonkonformismus und Widerspruchsgeist. Auch deshalb ist das eine mutige Wahl. Und sie erinnert uns angesichts der jüngsten Verwerfungen der europäischen Geschichte daran, dass Macht ohne Geist und ohne Wertbindung kein Fundament und keine Grenzen hat.
Wer heute über Europa redet, redet meist in Zahlen und Bilanzen, er spricht die lingua oeconomica, die in unseren Tagen immer weitere Lebensbereiche durchdringt. Er ü-bersieht aber leicht die Wirkkraft der stillen, der sanften Töne, der Sprache der Litera-ten. Er übersieht, dass das geistige Koordinatensystem Europas auf jenen gemeinsamen Wurzeln ruht, die sich mit den Städten Jerusalem, Athen, Rom markieren lassen, mit der Entdeckung der Individualität, der politischen Freiheit, der Wissen-schaft, mit der Rechtsidee als gemeinsamem Regelwerk jenseits aller sozialen und ethnischen Herkunft, mit dem Glauben an den einen Gott, der auf die Zerbrechlichkeit und die Gefährdung menschlichen Handelns verweist.
Und so mag die heutige Preisverleihung zugleich ein Appell sein, nicht zu vergessen, dass Europa – wenn es um seine Fundamente geht – sich als Bildungs- und Kulturge-meinschaft verstehen muss.
Die beiden großen Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts markieren die entschei-denden Stationen in der Biographie und im literarischen Werk György Konráds. Die Jahre des Nationalsozialismus 1933 bis 1945, die Jahre des Kommunismus, der Un-garnaufstand 1956. Er hat die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 ebenso er-lebt wie den Sieg der Freiheit 1989 und nun den Weg zur europäischen Einigung.
In einem kleinen Dorf in Ostungarn ist er am 2. April 1933 geboren, im Jahre der Machtergreifung und im Monat der Bücherverbrennung, wie er selbst einmal geschrie-ben hat. Vater und Großvater waren alteingesessene Eisenwarenhändler jüdischer Herkunft.
Welche weltpolitischen Eventualitäten den ungarischen Juden drohten, erfuhr er früh, als sein bayerisches Kindermädchen, ich zitiere „voller Begeisterung am Radioapparat hing, der vom Geröchel bis zum stampfenden Gejohle furchtbaren Lärm schlug, das Wort deutsch mit grimmiger Vergötterung und das Wort jüdisch mit grimmigem Abscheu aussprach“. Er musste miterleben, wie Pfeilkreuzler, also ungarische Faschisten der damaligen Zeit, Menschen aus ihren schützenden Wohnungen herausholten, in die Donau trieben und erschossen.
Es war reines Glück, dass er und seine Schwester dem Schicksal der drohenden De-portation entgingen. Am Tag, bevor die Juden seines Geburtsortes zusammengetrie-ben, ins Ghetto und schließlich nach Auschwitz deportiert wurden, gelang das Unmögliche, ich zitierte: „Um den Preis einer schwerwiegenden Bestechung“ erhielt der Elfjährige eine Reisegenehmigung zu seinen Budapester Verwandten. Dort überlebten er und seine Schwester dank eines Schweizer Schutzpasses in einem Haus, das unter dem Patronat des Roten Kreuzes stand. Und auch die Eltern hatten Glück im Unglück. Der Transport, der sie im März 1944 nach Auschwitz bringen sollte, ging nach Wien. Sie konnten beim Todesmarsch nach Mauthausen fliehen und kehrten Ende Mai 1945 in ihr Dorf zurück.
Es ist sehr beeindruckend, in der Erzählung „Heimkehr“ zu lesen, wie Konrád im Winter 1945 in Budapest die Befreiung durch sowjetische Soldaten und die Rückkehr bei Mi-nustemperaturen von 20 Grad in das Heimatdorf erlebte, verletzt und voller Heimweh. Und in der Tat, es muss eine gespenstische Heimkehr gewesen sein. Fast alle Juden waren verschwunden, auch der jüdische Friedhof des Heimatdorfes war, wie er schreibt, bereits gestorben. Doch Sie, Herr Konrád, haben die toten Freunde und Ver-wandten zu einem „Geisterfest“, so der Titel Ihres wohl bedeutendsten Romans von 1986, wieder versammelt und eine für immer untergegangene Welt nochmals beschwo-ren.
Nicht Nostalgie und Melancholie bewegen aber den Erzähler, sondern die Phantasie eines Überlebenden, der die Geschichten belebt, die, wie er schreibt, „im Bernstein der Zeit überdauert haben“, eines zornigen Chronisten, der die Geschichte als Möglichkeit des Lernens versteht, des Lernens auch einer neuen, einer europäischen Mentalität.
„Zukunft braucht Erinnerung“ hat er einmal gesagt. Erinnerung ist Aufruhr. Erinnerung ist Erkenntnis. Sie befähigt zur Unterscheidung zwischen Gut und Böse, sie ist nötig wie die Füße für das Gehen. Ich war, also bin ich. Grauen und Schuld nicht als verbit-tertes Abseitsstehen, sondern als Wegweisung für die Zukunft also. Erinnerung als in-dividuelles und kollektives Erbe. „Nie wieder Krieg, nie wieder Totalitarismus“ als euro-päischer Auftrag für Europa selbst, aber auch als globaler Auftrag weltweit.
Gehörten Sie bis 1945 der falschen Rasse an, so war die Erfahrung der zweiten, der kommunistischen Diktatur, dass Sie der falschen Klasse angehörten. Nach dem gelben Stern trugen Sie im stalinistischen Ungarn der fünfziger Jahre nunmehr einen zweiten Makel, den Makel der bürgerlichen Herkunft. Dreimal wurden Sie von der Universität in Budapest ausgeschlossen. Beim Aufstand 1956 trugen Sie dann aber doch eine Ma-schinenpistole, um die Universität gegen russische Panzer zu verteidigen, aber - nun wieder die andere Seite - Sie ließen, so überliefert es jedenfalls eine Anekdote, einen schon verhafteten Mitarbeiter der Staatssicherheit laufen, weil er Musiker des Stasi-Orchesters war. Nun kommt ein ganz bemerkenswerter Satz: Bei Säuberungen, so ha-ben Sie pointiert gesagt, kommen meistens Säuberer heraus. Das ist kein wünschens-werter Typ.
Wer Ihren ersten Roman „Der Besucher“ liest, mit dem Sie 1969 in Ungarn und 1973 in Deutschland auf Anhieb zu einem bekannten Autor wurden, der wird wie in kaum einem anderen Werk der ungarischen Literatur Innenansichten einer osteuropäischen Diktatur kennenlernen. Er macht die Scheinidylle des Sozialismus als Hölle der Zwangsneuroti-ker und Verwahrlosten, der Gewalttäter und Ausgestoßenen kenntlich. Aus Ihren Ro-manen erfährt man mehr von den verratenen Idealen, von den verlorenen Illusionen, der alles aufzehrenden Verstaatlichung der Existenz in den osteuropäischen Diktaturen als aus einer ganzen Bibliothek historischer Studien. Triumphale Helden und strahlen-de Sieger wird man vergebens suchen. Ihre Aufmerksamkeit gilt den Opfern und Verlie-rern der Geschichte, den Agenten der Gleichgültigkeit, die gezwungen sind, wieder ein Zitat, „den Verkehr des Leidens zu regulieren“.
Ihre Romane formulieren einen subtilen Protest gegen Menschenrechtsverletzungen aller Art, sie setzen auf die sanfte Kraft der Ideen, auf die sanfte Kraft der Worte. Auch die Sensiblen sind bei Ihnen nicht machtlos, vor allem in der Diktatur. Und ganz ne-benbei – auch das muss hier wieder einmal gesagt werden – leicht vergißt der heutige Leser und schon gar der westeuropäische Leser, der so etwas nie erlebt hat, welcher Kühnheit, welcher Tapferkeit es bedurfte, die Perversionen der sozialistischen Menschheitsbeglückung unter den Bedingungen der Zensur überhaupt auszumalen.
György Konrád wurde ein Europäer und Weltbürger aus Notwendigkeit. Als 1978 die Studie „Die Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht“ erschien, das essayistische Hauptwerk Konráds, begann auch sein Weg zum Weltruhm. In seiner Heimat wurde er wie sein Landsmann Imre Kertesz als Verräter der Nation angefeindet. Im gleichen Jahr 1978 folgte das Publikationsverbot. Ausgeschlossen aus der erlauchten Literatur sei-nes Landes wurde Konrád fortan zum Gast der Metropolen in Europa und Amerika, zum Weltreisenden, der sich einzurichten lernte zwischen Auszeichnungen und Sti-pendien auf der einen Seite, der Samisdat-Produktion und dem Manuskriptschmuggel auf der anderen Seite.
Einmal hat er geschrieben, dass er sich als Jude, Ungar, Europäer an vielen Orten auf der Welt wohl fühle, in Berlin zum Beispiel, das er auf Einladung des DAAD und des Wissenschaftskollegs kennenlernte, oder in New York und wohl auch hier in Aachen. Zuhause aber, das betonte er ausdrücklich, ist er in Budapest. Diese als angenehmste Stadt Mitteleuropas geltende Metropole, wo er nach eigenen Worten am ruhigsten schreiben kann, ist - zumal in seinen letzten drei Romanen der Budapester Mythologie - der Umschlagplatz seiner Hoffnungen auf ein neues Europa. Budapest ist der Schau-platz aller Romane. Budapest ist - ich zitiere wieder einmal - „Herberge der Zaubereien und Torturen, Gehirnexplosionen, ungarische Mythologie in Tableaus“. Von hier aus umspannt ein kosmopolitischer Geist die Welt, ein Geist, der sich von nationalen E-goismen nicht einschüchtern läßt. Man kann György Konrád getrost als einen Rhapso-den jener europäischen Metropolen bezeichnen, in denen sich der Osten und der Westen mischen.
In Ihrem Credo, lieber Herr Konrád, die Existenz der Diktatur mit jedem Wort zu bestrei-ten, weil die Menschen prinzipiell frei sind, gehören Sie zur intellektuellen Avantgarde der osteuropäischen Befreiungsbewegung. In bewundernswerter Klarheit haben Sie sich, auch in den Zeiten des Kriegsrechts, für die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc eingesetzt, die als wirkliche Massenbewegung entscheidend dazu beitrug, letztlich dem Kommunismus den Todesstoß zu versetzen. Intensiv haben Sie sich da-her in Ihren politischen Texten vor und nach der großen Zeitenwende nicht nur mit der Bedeutung der Kultur für das Zusammenwachsen Europas beschäftigt, sondern auch prinzipiell mit der Vision eines geeinten Europas.
Jalta war für Sie der große Stein des Anstoßes, ja, ein Stolperstein für den Frieden in Europa. Als einer, der das dort geschaffene System schmerzlich am eigenen Leib er-fahren hat, haben Sie Jalta als das System einer Großmachtlogik gegeißelt, das für Jahrzehnte das Schicksal von Millionen Menschen bestimmte. Jalta hatte einen Status geschaffen, der von westlichen Demokratien teils widerstrebend, teils gleichgültig ak-zeptiert wurde. Doch was bedeutete es in den Staaten in der Mitte Europas? Das alte Mitteleuropa war untergegangen und als politisches Konzept erschien nach den ka-tastophalen Verirrungen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Vielen die-ses Konzept eher gefährlich.
Aber mit intellektueller Kraft haben Sie in den achtziger Jahren erwogen, ob nicht ein aktualisiertes Mitteleuropakonzept neues gestalterisches Potential in sich bergen könn-te. Mit hervorragenden Verbündeten im Geiste wie Adam Michnik, Czslaw Milosz, Fran Cipiorski aus Polen, den Tschechen Milan Kundera und Václav Havel und mit unserem Landsmann Hans Magnus Enzensberger haben Sie damals den Versuch unternom-men, einen neuen Dialog zwischen den Völkern und Kulturen der Region zu stiften, die nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam das Schicksal von kommunistischer Herr-schaft und Sowjetherrschaft teilten.
In Ihren „Mitteleuropäischen Meditationen“ haben Sie folgerichtig nach Auswegen aus der Logik des Kalten Krieges gesucht. Wenn sich schon, so Ihr Urteil, die Westeuropä-er so indifferent und quasi neutral verhielten, dann sollten sie doch ergänzend auch die Neutralität Osteuropas verlangen. Angesichts konkreter Erfahrungen wie der Nieder-schlagung der Ungarischen Revolution von 1956 oder des Prager Frühlings 1968 ver-traten Sie prononciert die Auffassung, der Friede könne nur gesichert werden, wenn alle ausländischen Truppen aus Europa abgezogen würden. Im Westen hat diese Visi-on großes Aufsehen erregt, allerdings nur geringe politische Zustimmung, zumal die Assoziation an die Mitteleuropa-Konzeption Friedrich Naumanns im Ersten Weltkrieg nahelag und zumal die Lockungen der Neutralität in Deutschland schon seit den fünfzi-ger Jahren kaum Befürworter hatten. Das feste Bekenntnis zur Westbindung hat schließlich historisch auch Recht bekommen, auch wenn damals noch niemand ahnen konnte, dass der Kommunismus so rasch und lautlos implodieren würde.
Viele haben dazu beigetragen, jeder aus anderen Motiven: der polnische Papst, die amerikanischen Präsidenten Reagan und Bush, der letzte Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow. Zentral aber waren die klare Verankerung im transatlantischen Bündnis, das auch in Zukunft eine Konstante deutscher Außenpolitik bleiben muss, die Anziehungskraft des integrierten Westens und der beharrliche Ruf der Menschen nach Freiheit. Zentral waren die Bürger in den mittel- und osteuropäischen Staaten, die sich auf ihre eigenen Rechte besonnen haben und die einerseits beharrlich und anderer-seits, das muss man hinzufügen, eine günstige Gelegenheit nutzend, für ihre Freiheit gestritten haben. Das Drängen vieler Einzelner auf die ihnen in Helsinki 1975 vertrag-lich garantierten Menschenrechte, das Drängen auf humanitäre Erleichterungen, auf Reisefreiheit, auf Familienzusammenführung, all das zeigte, dass die Staaten Osteuro-pas moralisch hohl und politisch kraftlos und morsch geworden waren.
Der Kampf hat sich gelohnt. Mit Ausnahme einiger weniger Flecken auf der Landkarte hat Europa den Kommunismus überwunden. Offene Gesellschaften gewähren den Bürgern die Freiheit, für die Sie, Herr Konrád, selbst so lange unter harten Entbehrun-gen gekämpft haben. Im Mittelpunkt steht wieder der einzelne Mensch als Person, der niemals Zweck für andere ist, auch nicht für noch so große Ideen der Menschheitsbe-glückung, sondern der seinen Wert eben in sich trägt, in seiner eigenen Individualität, in seiner eigenen Würde.
Und Ihre Schriften, verehrter Herr Konrád, Ihr Lebenswerk hat ungezählte Menschen wieder ermutigt, danach zu leben, hat ungezählte Menschen wieder ermutigt, den auf-rechten Gang zu wagen. Das danken wir Ihnen heute.