Das "Direktorium der Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen" hat Sie, meine Damen und Herren, eingeladen, am heutigen Himmelfahrtstage der Preisverleihung 1963 an den Kgl. Großbritannischen Lordsiegelbewahrer Edward Heath beizuwohnen an dieser Stelle, an der durch sechs Jahrhunderte die deutschen Könige ihr Krönungsfest gefeiert haben. Wir freuen uns aufrichtig, daß Sie unserem Ruf in so großer Zahl gefolgt sind, und wir danken Ihnen für die uns damit erwiesene Ehrung. Begrüßen darf ich zunächst die Karlspreisträger vergangener Jahre:
den Karlspreisträger 1950 Graf Coudenhove -Kalergi,
den Karlspreisträger 1951 Professor Hendrik Brugmans,
den Karlspreisträger 1953 Jean Monnet,
den Karlspreisträger 1960 Dr. Joseph Bech
den Karlspreisträger 1961 Professor Walter Hallstein
Die Ehre ihrer Anwesenheit geben uns die Herren Botschafter von Norwegen, Belgien, Indien, Pakistan, Luxemburg, des Malaiischen Bundes, den Niederlanden und Großbritannien, sowie der Herr Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in Brüssel und die Herren Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Großbritannien und bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Ich begrüße den Herrn Präsidenten der Beratenden Versammlung des Europarates, Herrn Patijn, das Mitglied der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Herrn von der Groeben, das Mitglied der Hohen Behörde der Montanunion, Herrn Dr. Hellwig, das Mitglied der Kommission der Europäischen Atomgemeinschaft, Herrn Sassen, den Präsidenten des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, Herrn Donner. Wir freuen uns über die Anwesenheit der Mitglieder der Deutschen Bundesregierung, Herrn Vizekanzler Professor Erhard und Herrn Bundesminister Scheel, und der Mitglieder der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, der Herren Minister Lemmer und Pütz, Sr. Exzellenz des Bischofs von Aachen, Herrn Dr. Pohlschneider, zahlreicher Mitglieder des Deutschen Bundestages, worunter die Herren Professor Furler und Dr. Mende, und des Landtages von Nordrhein-Westfalen en, des Staatssekretärs im Bundespräsidialamt, Herr v. Herwarth, der Herren Staatssekretäre bei der Bundesregierung, Hopf, Lahr, Müller- Armack und Thedieck, der Herren Staatssekretäre Hoelscher und Dr. Oermann von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, der Präsidenten der Europäischen Bewegung in Luxemburg und den Niederlanden und des Präsidenten der Europaunion Deutschland.
Ein sehr herzlicher Gruß gilt unseren Gästen aus dem benachbarten Ausland:
dem Gouverneur der niederländischen Provinz Limburg, Herr Dr. Houben, den Gouverneuren der belgischen Provinzen Lüttich und Limburg, den Herren Clerdent und Roppe, den Bürgermeistern der Städte Lüttich, Maastricht und Heerlen und dem Herrn Präsidenten Thone von Grand-Liège. Groß ist unser aller Freude über die Anwesenheit des Mannes, zu dessen Ehren Sie sich hier versammelt haben, des britischen Lordsiegelbewahrers Edward H e a t h;
ich heiße Sie, Herr Minister, namens der Stadt Aachen und namens dieses ganzen Auditoriums herzlich willkommen.
Wir begegnen immer wieder der Auffassung, der Internationale Karlspreis der Stadt Aachen sei ein Friedenspreis, so wie die Nobelstiftung ihn alljährlich zur Verleihung vorsieht, und wie es ihn auch sonstwo in vielen Varianten gibt, so z. B. den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Der Karlspreis ist mit diesen Einrichtungen nicht ohne weiteres vergleichbar, er ist gedacht als Auszeichnung von Persönlichkeiten, die der Einigung Europas besondere Dienste geleistet haben. Dabei ist natürlich zu ergänzen, daß die Einigung Europas kein Selbstzweck ist, sondern hier gesehen wird als wichtiger Schritt auf dem Wege zu einer politischen Ordnung, die die Erhaltung des Friedens gewährleistet. Bei den Einigungsbestrebungen europäischer Völker - vornehmlich im 19. Jahrhundert unter dem Vorzeichen des Nationalismus, die der Historiker nachbetrachtend wohl auch einmal als einen früheren Schritt in der gleichen Richtung bezeichnen wird, hat den hierfür verantwortlich zeichnenden Kräften die Erhaltung des Friedens als Ziel nicht vorgeschwebt, man nahm im Gegenteil die kriegerische Verwicklung in Kauf, wie die Geschichte Deutschlands und Italiens im 19. Jahrhundert zeigt. Das Fortwuchern nationaler Ordnungsprinzipien führte in unserem Jahrhundert zur Zerschlagung der österreichisch-ungarischen Monarchie. Man wird es immer wieder als eine Ironie des Schicksals ansehen, daß in dem gleichen Augenblick, in dem man sich anschickte, zur Erhaltung des Friedens einen Völkerbund zu begründen, sozusagen als Präludium, der einzige auf europäischem Boden praktisch bestehende Völkerbund, die alte Donaumonarchie, zum Tode verurteilt wurde. Das furchtbare Erlebnis des zweiten Weltkrieges hat die Völker Europas zur Besinnung auf die Gedanken gebracht, um deren Verbreitung der erste Karlspreisträger, Graf Coudenhove-Kalergi, sich schon in den zwanziger Jahren gemüht hat. Wem die Lehre des sogenannten konventionellen Krieges nicht genügt hatte, der mußte nach der Explosion der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki erkennen, daß die Welt in Zukunft am Rande der Selbstzerstörung wandelt, wenn der Krieg als Mittel der Politik weiter Geltung behält. Die Einigung der Völker Europas, dieses dicht besiedelten Erdteils mit seinen hochentwickelten Industrien, der bis in unsere Zeit belastet war mit den Vorurteilen einer mehr als tausendjährigen Rivalität, ist die erste Voraussetzung für die Verhinderung künftiger Streitigkeiten. Ich sehe dabei bewußt davon ab, die ökonomischen Gründe, die das Zusammenwachsen der Völker Europas heischen, in diese Betrachtung einzubeziehen. Zweimal haben wir in diesem Jahrhundert ansehen müssen, daß ein hier entstandener Brand nahezu die ganze Welt in Glut gesetzt hat. Das konnte nur geschehen, weil wir es verabsäumt hatten, den Weg zu beschreiten, den die jungen Völker des nordamerikanischen Kontinents uns schon im 19. Jahrhundert vorangegangen waren. Keinem von uns würde jemals auch nur der Gedanke kommen, daß ein Krieg zwischen New York und Texas ausbrechen könnte; spricht es da nicht für einen absoluten Mangel an politischer Führung und Verantwortung, daß die Völker Europas sich noch im 20. Jahrhundert gegenseitig zerfleischen konnten? Nun wollen wir gewiß dankbar anerkennen, daß die bis dahin mangelnde Erkenntnis einen großen Vormarsch angetreten hat, als die letzten Feuerschwaden des Jahres 1945 sich verzogen. Denen, die schon früher als Vorkämpfer der europäischen Einigung gegolten, gesellten sich nun führende Politiker fast aller Staaten des freien Europa zu. Als besonders eindrucksvoll darf dabei das Auftreten Sir Winston Churchills im Jahre 1946 in Fulton und Zürich bezeichnet werden. Ganz anders als in früheren Zeiten, in denen der Waffenlärm auch nach Beendigung eines Krieges noch lange in den Herzen der Menschen nachhallte, richtete der Mann, in dem sich der Kampfeswille der einen Partei personifiziert hatte, die dringende Aufforderung an alle Verantwortlichen, nun Vergangenes vergessen sein zu lassen und das Heil der Zukunft im einträchtigen Zusammenwirken der europäischen Staaten zu suchen. Sein Mahnruf fand weitgehende Zustimmung. Ich brauchte nur die Liste derjenigen zu wiederholen, die in den vergangenen Jahren mit dem Karlspreis ausgezeichnet wurden, um darzutun, welche hervorragenden Männer sich bahnbrechend in den Dienst dieser großen Aufgabe stellten. Aus der Reihe der Namen möchte ich nur einen einzigen am heutigen Tage herausgreifen: George Marshall, der amerikanische Staatsmann, hat nicht mehr die Fahrt nach Aachen anzutreten vermocht, um die ihm zugesprochene Auszeichnung entgegen zu nehmen, die Nachricht von der ihm zugedachten Ehrung konnte ihm nur noch an sein Krankenlager gebracht werden. Ich nenne seinen Namen hier aber besonders, weil er für uns alle die großartige Hilfeleistung symbolisiert, die den vom Kriege erschöpften und ausgebluteten Völker Europas durch die Vereinigten Staaten von Amerika zuteil wurde. Sie gab die Grundlage zum materiellen Aufstieg; die amerikanische Regierung ist seither nicht müde geworden, in der konsequenten Ermunterung der europäischen Einigungsbestrebungen. Unser Karlspreisträger, Professor Walter Hallstein, sagte in seiner Ansprache zum "Dean's Day" in der Columbia- Universität New York am 2. März d.J.:
"Von Anfang an haben amerikanische Regierungen beider Parteien die europäische Einigung ständig unterstützt. Ihre Haltung läßt sich nur als großartige und ausdauernde Politik atlantischer Solidarität bezeichnen. Ein großer Teil der freien Völker Europas ist mit den Ländern des nordamerikanischen Kontinents seit Jahren im Nordatlantikpakt verbunden und ein immer engeres Zusammenwachsen dieser atlantischen Gemeinschaft ist ein uns allen erstrebenswertes Ziel. Wir glauben aber, daß diesseitiger Partner einer solchen Gemeinschaft nur ein in sich selbst geeinigtes Europa sein kann; insofern sehen wir hier keine Alternative, sondern nur zwei Schritte auf dem gleichen Wege: der erste Schritt geht innerhalb Europas, der zweite geht über den Atlantik. Eine solche Reihenfolge dürfte der Logik entsprechend. In vergangenen Jahren habe ich mir immer wieder gestattet, gelegentlich der Karlspreisverleihung der Ungeduld der Völker Europas über den Fortgang der Einigung Ausdruck zu verleihen. Ich glaube aus dem Sinn des Preises selbst und aus dem genius loci eine Legitimation hierzu herleiten zu können. Wenn ich soeben hinweisen durfte auf die Zustimmung vieler verantwortlicher Staatsmänner, so ist ergänzend zu sagen, daß der Widerhall der Völker eindeutig Zeugnis davon gab, daß diese, des ewigen Streitens überdrüssig, von einer tiefen Sehnsucht nach Eintracht erfüllt sind. Daß Eintracht und friedliches Miteinander nur gewährleistet werden können durch eine institutionell verankerte Einheit, entspricht einer allgemein gewordenen Überzeugung. Viele für uns lebenswichtige Fragen und Aufgaben sind in eine Größenordnung hineingewachsen, die von den heute souveränen Staaten Europas nicht mehr aus eigener Kraft bewältigt werden kann. Es ist für uns zu einer Lebensnotwendigkeit geworden, diese Zuständigkeiten auf supranationale Organisationen zu übertragen. Das Festhalten an nationalen Ambitionen ist für uns ein gefährliches Unterfangen; die Kräfte des einzelnen Staates stehen in einem gefährlichen Mißverhältnis zu den erhobenen Ansprüchen.
Herr Minister Heath hat gesagt: "Es übersteigt die Fähigkeiten eines jeden westlichen Landes, selbst der mächtigen Vereinigten Staaten, all diese Aufgaben allein zu erfüllen. Die Probleme sind nur dann erfolgreich zu meistern, wenn der Westen seine Hilfequelle zusammenlegt und so wirksam wie möglich einsetzt." Allgemein ist auch die Erkenntnis, daß uns für die Realisierung politisch als notwendig erkannter Organisationsformen keine dem Rhythmus der staatlichen Entwicklung im 19. Jahrhundert entsprechenden Fristen zur Verfügung stehen, wenn wir nicht lebenswichtige Interessen aufs Spiel stellen wollen. In einer Zeit, in der die Entwicklungsländer sich anschicken, in wenigen Jahren einen Fortschritt zu erzielen, der bei uns anderthalb Jahrhunderte erfordert hat, können wir es uns ganz einfach nicht mehr leisten, früher gültige Zeitmaßstäbe anzulegen. Wir sind gewiß bereit, zuzugeben, daß der in der ersten Nachkriegszeit herrschende Optimismus bezüglich des Fortganges unserer Bestrebungen übersetzt war. Inzwischen haben wir viel Rückschläge mit angesehen: das Mißlingen der europäischen Verteidigungsgemeinschaft im Jahre 1954, das Fernbleiben Großbritanniens von den europäischen Gemeinschaften im Augenblick ihrer Gründung und endlich das Scheitern der Brüsseler Verhandlungen zu Beginn dieses Jahres. Trotzdem ist die Entwicklung fortgeschritten: hierfür ist zum Teil auch die ihr inzwischen innewohnende Eigengesetzlichkeit maßgebend gewesen. Die abgeschlossenen Verträge sehen Fristen vor, die uns jeweils dem Ziele der Vereinheitlichung näher bringen. Hierdurch werden primär ökonomische Tatbestände herbeigeführt und dies ist bisher fast regelmäßig schneller geschehen, als die Verträge es vorsahen, und es damit folglich zu erwarten stand. Bei der heute gegebenen engen Verflechtung von Wirtschaft und Politik haben aber nun diese ökonomischen Fakten auch eine hervorragende politische Bedeutung. Bei aller Wichtigkeit wirtschaftlicher Fragen in der Welt von heute kann ihnen angesichts der grundsätzlichen Entscheidungen, um die es gegenwärtig geht, nur eine zweitrangige Bedeutung beigemessen werden. In dem Augenblick, in dem der Entschluß zum Bau des Hauses gefaßt worden ist, weil wir dieses Haus brauchen, haben die Probleme konstruktiver Natur, die Fragen der Raumaufteilung, der Auswahl der Materialien, nur mehr technische Bedeutung, sie sind niederen Ranges und müssen gelöst werden. Als Robert Schuman, damals verantwortlicher Leiter der politischen Geschicke Frankreichs im Jahre 1950 die Gründung der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl auf der Grundlage der Gedanken Jean Monnet's in die Wege leitete, hat er sich, trotz aller Bedeutung dieser Wirtschaftszweige für sein Land und für Europa, nicht primär um deren Wohlergehen gesorgt, es ging ihm eben nicht in erster Linie um Kohle und Stahl, sondern es ging ganz eindeutig um die Initialzündung zu einer gemeinsamen Politik der Völker Europas. Er sagt selbst: "So wird einfach und schnell die Zusammenfassung der Interessen verwirklicht, die für die Schaffung einer Wirtschaftsgemeinschaft unerläßlich ist und das Ferment zu einer weiteren und tieferen Gemeinschaft einschließt." Diese Völker sind den hier begonnenen Weg begeistert und aus voller Überzeugung mitgegangen und aus dieser Gesinnung ist ein mächtiger Motor geworden. Sie wissen, daß auf dem Wege Steine liegen, daß Hindernisse beseitigt werden müssen mit viel Geduld und mit Geschick, aber sie haben auch einen gesunden Instinkt für das Wesentliche, vor dem Individual- und Nationalinteressen verblassen. Da kann es auch gar keine Rolle mehr spielen, ob unter den neuen Verhältnissen diese oder jene landwirtschaftlichen Erzeugnisse oder industrielle Waren an ihrem bisherigen Standort noch rentabel produzierte werden können. Das sind eben Fragen niederen Ranges geworden, die auf die Grundsatzentscheidung ohne Einfluß bleiben. In einer uns allen erinnerlichen Vergangenheit hätte es noch durchaus im Bereich des Möglichen gelegen, solch politische Entschlüsse von der Lösung wirtschaftlicher Details abhängig zu mache. Diese Zeiten sind endgültig vorüber. Heute wissen wir, daß die Welt im Ganzen vom Untergang bedroht ist, wenn wir uns unfähig erweisen, sie politisch so zu organisieren, daß der Friede gewährleistet bleibt. Damit steht unsere Aufgabe fest, keiner kann sie uns abnehmen. Allzu oft hat die Menschheit erst durch furchtbare Blutopfer zur rechten Erkenntnis geführt werden müssen. Die nach Millionen zählenden Verluste, die unser Jahrhundert schon gefordert hat, müßten gering erscheinen im Vergleich zu dem, was eine erneute kriegerische Verwicklung uns abfordern würde. Die Menschen dieses Grenzraumes, die das Schicksal europäischer Zersplitterung in bitteren Zeiten erlitten haben, glaubten ihrer Überzeugung von der Notwendigkeit der Einigung durch die Stiftung des Karlspreises einen weithin sichtbaren Ausdruck verleihen zu sollen. Diese Einigung kann und darf nicht beschränkt sein auf eine wirtschaftliche Kooperation. Wenn sie wirksam und von Dauer sein soll, so gilt dafür das Wort Prof. Hallsteins in seiner schon einmal zitierten Ansprache in New York: "Wenn man sich damit einverstanden erklären will, muß man weitgehende politische Verpflichtungen übernehmen, eine Verpflichtung auf ein ganz neues System in der europäischen Politik, ein System, das sich entschlossen von der Vergangenheit abgewendet hat." Diese Verpflichtung ist in den Römischen Verträgen enthalten, und wir müssen uns klar darüber sein, daß dieses Vertragswerk das wichtigste und wertvollste Ergebnis der bisherigen Europapolitik ist. Daran gilt es, festzuhalten, auch wenn die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit eine vielfach kritische Beurteilung gefunden haben. Am Anfang stand die Gemeinschaft der sechs Länder, die feste Bindungen eingegangen sind, die eben, wie Prof. Hallstein es ausgedrückt hat, die Hinwendung zu einem ganz neuen System in der europäischen Politik in sich einschließen. Hierin einbegriffen ist das wahrhaft säkulare Ereignis der Beendigung des französisch-deutschen Gegensatzes, das gerade in dieser Stadt an der Scheidelinie romanischer und germanischer Kultur, nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Vom Blickpunkt des Jahres 1945 her gesehen, war diese Befriedung das zentrale Problem. Daß seine Lösung in erstaunlich kurzer Zeit gelungen ist, darf uns nicht den Blick verdunkeln für die Erkenntnis, daß wir ohnedem bis heute hin noch ohne jedes Ergebnis für die Schaffung eines neuen Europa dastehen würden. Es ist unbestritten, daß die Konzeption der Römischen Verträge sich ungeachtet der Schönheitsfehler, die der eine an dieser und der andere an jener Stelle entdecken mag, bewährt hat, so gut bewährt hat und so überzeugend, daß mancher, der vor Jahren nicht geglaubt hatte, mitmachen zu können, zu anderer Überzeugung gekommen ist. Unser heutiger Preisträger, Herr Minister Heath, hat diese gleiche Feststellung auf die eindrucksvolle Formel gebracht: "Dies war ein Fall, wo die Multiplikation von eins mit sechs ein Ergebnis gebracht hatte, daß kein Mathematiker vorausgesagt haben würde." Wo ständen wir heute, wenn wir die Chance der europäischen Einigung auf der Basis der Römischen Verträge in den Wind geschlagen hätten mit der Begründung, dieses Fundament sei zu schmal? Dieser Gedanke ruft die Erinnerung wach an die Zeit Aristide Briands, die es nicht verstanden hat, die weitschauenden Gedanken dieses Staatsmannes in eine konkrete Form zu gießen. Ohne dieses Versäumnis hätten die Tyrannei des Hitlerreiches und der zweite Weltkrieg uns erspart bleiben können. Rückschauend auf die seit dem Kriege vergangenen Jahre läßt sich sagen, daß unter Verzicht auf die sicherlich falsche Politik des "Alles oder Nichts" das jeweils Erreichbare realisiert wurde, und daß wir uns darüber aufrichtig freuen sollen, mögen wir es auch als ungenügend ansehen. So wäre es auch grundfalsch, aus einer Verärgerung über zunächst gescheiterte Pläne im Eifer am Ausbau des Vorhandenen nachzulassen, denn dieses Vorhandene ist ja nur wertvoll und attraktiv wegen seiner zunehmenden Erfolge und wegen des Eifers, der auf seinen Ausbau verwandt wird. Im politischen Leben geht es darum, aus den jeweils gegebenen Umständen das Beste zu machen, und es heißt nur wertvolle Zeit vergeuden, wenn man Spekulationen anstellt über das, was hätte sein können, wenn .....
Nun ist es eine Selbstverständlichkeit, daß jeder, der an die Einheit Europas denkt, diese nicht beschränkt sehen möchte auf die Mitglieder der heutigen Sechsergemeinschaft; dies schon allein mit Rücksicht auf die Tatsache, daß dieses Europa als gleichberechtigter Partner einer atlantischen Gemeinschaft möglichst alle freien Länder Europas umschließen muß. So war auch der 10. Oktober 1961 ein großer Tag, für alle Europäer der Tag, an dem Herr Minister Heath in Paris bei der Eröffnung der Verhandlungen über den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sagte: "Wenn wir erklären, daß wir der EWG beizutreten wünschen, so wollen wir damit sagen, daß wir von ganzem Herzen volle und aktive Mitglieder der europäischen Gemeinschaft in ihrem umfassendsten Sinne zu sein wünschen und mit Ihnen den Aufbau eines neuen Europas vorwärtstreiben wollen." Damit schien ein Zeitraum abgeschossen, während dessen das Vereinigte Königreich aus Gründen, die wir zwar mit Respekt akzeptieren mußten, zu unser aller Bedauern glaubte, einem engeren europäischen Zusammenschluß fernbleiben zu müssen. Unsere Hoffnung ist zunächst enttäuscht und die Enttäuschung hat ein weitverbreitetes Echo gefunden; ja sie hat bei manchem dazu geführt, daß Schlußfolgerungen ins Auge gefaßt wurden, die ich soeben als der Sache wenig dienlich charakterisieren durfte. Wir sollten uns eher der von Herrn Prof. Hallstein geübten Betrachtungsweise anschließen, der in New York dazu meinte: "Es ist nicht der erste Rückschlag, den die europäische Sache erlitten hat, und es wird auch nicht der letzte sein."
Für das Karlspreisdirektorium ergibt sich jedoch noch eine andere Überlegung. Der Entschluß zur Heranführung Großbritanniens an die europäische Einheit fordert von seinen Initiatoren im eigenen Lande die Überwindung einer historisch begründeten Mentalität, die in der Bevölkerung tief eingewurzelt war. Es war eine mutige Tat der Regierung Macmillan, daß sie trotz der psychologischen Widerstände im eigenen Lande und seiner delikaten Situation gegenüber den Mitgliedern des Commonwealth den Entschluß faßte, die Verhandlungen zum Erwerb der Mitgliedschaft der EWG einzuleiten. Die Leitung ihrer Delegation übertrug sie einem Manne, in den sie höchstes Vertrauen setzte und der auch verstanden hat, auf seine Verhandlungspartner Vertrauen auszustrahlen, Mister Edward Heath, 1916 in Broadstairs geboren, hat er in Oxford Philosophie, Staatswissenschaft und Volkswirtschaft studiert. Als er bei Kriegsbeginn freiwillig zu den Waffen eilte, hatte er schon auf ausgedehnten Reisen die Vereinigten Staaten von Amerika und mehrere Länder des europäischen Kontinents kennengelernt. Nach Kriegsende ging Edward Heath kurz in den Staatsdienst und dann in das Bankwesen. Schon in seiner Studienzeit mit Politik befaßt, bewarb er sich im Jahre 1950 erstmalig um einen Unterhaussitz, den er auch mit knapper Mehrheit errang. Für uns ist es nicht uninteressant, zu hören, daß er sich in seiner parlamentarischen Jungfernrede mit Fragen des Schuman-Plans befaßte. Schon bald war er zur Übernahme bedeutender parlamentarischer Aufgaben bestimmt, auf dem Wege über wichtige und ehrenvolle Ämter kam er 1959 in die Regierung, wurde 1960 Lordsiegelbewahrer und gleichzeitig Sprecher des Foreign Office im Unterhaus. Seit Oktober 1961 führte er im Auftrage seines Landes die Verhandlungen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Er hat sich dieser Aufgabe mit vorbildlichem Eifer gewidmet und dabei immer wieder eine bewundernswerte Beherrschung der vielschichtigen Materien sowie eine verblüffende Kenntnis aller Vorgänge an den Tag gelegt. Herr Minister Heath hat so zum Fortgang der Verhandlungen einen sehr großen persönlichen Beitrag geleistet, der weit über das hinausgeht, was insgemein vom Führer eine Delegation erwartet wird. Gestatten Sie mir, mich ganz unkompliziert auszudrücken: wir alle stehen unter dem Eindruck, daß er die ihm von Amts wegen übertragene Aufgabe aus innerer Überzeugung von ihrer überragenden Bedeutung zu seinem persönlichen Anliegen gemacht hat.
Solange wir in Europa an führenden Stellen solche Männer haben, brauchen wir trotz aller Rückschläge nicht kleingläubig zu werden! Was Herrn Minister Heath aber besondere Bewunderung eingebracht hat, ist seine souveräne Haltung nach dem Scheitern der Verhandlungen. Bei aller Festigkeit in der Wahrung seiner Auffassung hat er unverzüglich den Blick vorwärts gerichtet und schon bei der abschließenden Sitzung in Brüssel gesagt: "Wir haben Ihnen zu Beginn der Verhandlungen mitgeteilt, daß wir mit Ihnen den Aufbau eines neuen Europa vorantreiben wollten. Unsere Worte waren sehr sorgfältig abgewogen. Sie haben auch heute noch Gültigkeit. Wir in Großbritannien werden weder dem europäischen Festland noch den Ländern der Gemeinschaft den Rücken kehren. Wir sind ein Teil Europas durch Geographie, Tradition, Geschichte, Kultur und Zivilisation. Wir werden weiterhin mit all unseren Freunden in Europa auf die wahre Einheit und Stärke dieses Kontinents hinarbeiten". Dieser Ausspruch in diesem Augenblick erweist ihn als den würdigen Träger einer politischen Überlieferung, die so vieles zur Größe seines Landes beigetragen hat. Die Würde, mit der er im Moment des Mißerfolges die Situation beherrscht und zu seiner Überzeugung gestanden unter Verzicht auf kleinliches Ressentiment, erinnert an so manche kritische Phase in der Geschichte Großbritanniens, die aus der überlegenen Schau von Männern gemeistert wurde, die Träger der besten Eigenschaften ihres Volkes waren. In der Sache selbst hat er der gleichen Einstellung in der Folgezeit Ausdruck verliehen wobei besonders Erwähnung noch das am 5. April vor einem Studentenseminar gesprochene Wort verdient: "Der Nationalstaat des 19. Jahrhunderts entspricht nicht mehr den Erfordernissen einer modernen Welt und der europäische Geist sollte nichts von den wenig wünschenswerten Seiten des Nationalismus adoptieren." Das Karlspreisdirektorium hat Herrn Minister Heath den Karlspreis 1963 zugesprochen in der Überzeugung, daß die Einigung Europas in guten Händen liegt bei Männern, die in unbeugsamer Entschlossenheit das hohe Ziel allen Widerwärtigkeiten zum Trotz im Auge behalten. Unser Wunsch ist es, durch diese Ehrung darzutun, daß wir die uneingeschränkte und vorbehaltlose Mitarbeit Großbritanniens beim Aufbau eines wirtschaftlich und politisch geeinten Europas für unerläßlich halten. Wir Aachener erinnern uns an diesem Tage der zahlreichen Bande, die diese Stadt im Laufe einer vielhundertjährigen Geschichte mit Großbritannien verbinden, wir gedenken dabei auch besonders des Himmelfahrtstages des Jahres 1956, an der sein großer Staatsmann Sir Winston Churchill in diesem ehrwürdigen Saale die gleiche Auszeichnung entgegennahm.
My Lord Privy Seal,
On ascension day 1956 when The International Charlemagne Prize of Aachen was awarded to your great compatriot Sir Winston Churchill I quoted his words spoken Zurich in 1946 "let Europe live and shine!" Since his historic speech a good deal of work has been done for the construction of European unity. Hope for achievement of this great task was highly encouraged by the demand of Her Majesty's Government for admission to the European Economic Community. During fifteen months negotiations in Brussels have gone on for this purpose under your leadership on the British side. The breakdown of these negotiations has disappointed all of us, as we all are convinced that Sir Winston was very right, when he said: "The safety of the world requires a new unity in Europa, from which no nation should be permanently outcast." When recently you said: "Britain was not depressed by this reverse in Europe, but saw it as calling for greater efforts than have been shown in the past." You proved to be a fearless fighter for a goal, set by Sir Winston thirteen years earlier. As we know that you will continue to prepare the way of your great country towards European unity, the Directorate of the International Charlemagne Prize of Aachen has decided to bestow upon you this prize. Thus you are henceforth incorporated in the very noble team of men, who have already been honoured in the same manner. By awarding the International Charlemagne Prize to you the people of Aachen wish to express their sincere desire, that your efforts towards European unity will be requited with full success in a very near future.
Das Direktorium für den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen hat sich bei seinem Entschluß, Ihnen, Herr Minister Heath, den Karlspreis 1963 zu verleihen, von einer zweifachen Überlegung leiten lassen: Es soll Ihnen damit Dank und Anerkennung ausgesprochen werden für Ihre im Interesse eines in sich geeinigten Europa vorbildliche Leistung, die Sie würdig einreiht in das Kollegium von Männern, die bisher schon an dieser historischen Stätte ausgezeichnet wurden. Es möchte Sie gleichzeitig ermutigen, auch in Zukunft in Treue zu der von Ihnen vertretenen Erkenntnis den einmal beschrittenen Weg weiterzugehen, ihn weiterzugehen bis zum Ziel.