Herr Oberbürgermeister, meine Damen, Exzellenzen, Magnifizenz, meine Herren! Die Träger des Karlspreises sind ein Orden. Zum Unterschied von den religiösen Orden verlangt der unsrige aber von seinen Angehörigen nicht bestimmte Taten, die Einhaltung bestimmt er Regeln. Er setzt bestimmt Taten voraus. Als Bedingung für die Zugehörigkeit und an der Gemeinsamkeit ihrer Vergangenheit erkennen sich daher seine Mitglieder. Davon nun gibt es eine Ausnahme. Einmal im Jahr in der Regel, fällt einem Mitglied des Ordens die Aufgabe zu, ein neues Mitglied willkommen zu heißen. Heute habe ich diese große Auszeichnung und herzliche Freude. Man wird sagen, eine leichte Pflicht, nun ja, wenn man die Zeit und die Freiheit hätte viel zu sagen, weniger leicht, wenn man es kurz tun soll, so wie es das stolze und strenge Zeremoniell dieser Feier fordert. Bevor ich es aber tue, darf ich zwei Botschaften mitteilen, die von früheren Karlspreisträgern an uns gerichtet worden sind, die zu ihrem und unserem Bedauern an dieser Feier heute nicht teilnehmen können. Jean Monnet und Sir Winston Churchill. Jean Monnet telegrafierte an den Herrn Oberbürgermeister ?Es tut mir außerordentlich leid, bei der großen Feierlichkeit zu Ehren von Herrn Heath nicht teilnehmen zu können, da ich in Washington zurückgehalten bin. Ich bitte Sie, Ihren Kollegen alle meine Glückwünsche aussprechen zu wollen für die Wahl, die Sie getroffen haben in der Person des Herrn Heath. Diese Entscheidung ehrt Sie genauso wie Herrn Heath. Keiner besser und mehr als er hat in den schwierigen Tagen und mit größerem Mut an der Festigung Europas gearbeitet und dementsprechend für den Frieden der Welt. Ich bedauere außerordentlich, nicht bei Ihnen sein zu können, um es ihm persönlich zu sagen. Meine herzlichen Glückwünsche.? Sir Winston Churchill telegrafiert: ?Ich sende dem Direktorium des Karlspreises meine herzlichsten Grüße und besten Wünsche. Übermitteln Sie dem Preisträger bitte meine besten Glückwünsche zu der Auszeichnung, die er jetzt empfangen soll. Die Wahl von Herrn Heath ist ein weiterer Beweis für die Weisheit des Direktoriums und dessen starke Verbundenheit mit der Sache. – Winston Churchill?.
Die heutige Verleihung des Karlspreises hat für uns eine dreifache Bedeutung, wir ehren einen Engländer, einen Europäer und wir ehren den Mann Edward Heath. Das Verhältnis Englands zu Europa ist immer besonders gewesen, verschieden von dem der kontinentalen Länder. Und wenn in der jungen und kurzen Geschichte der europäischen Integration, die in absehbarer Zeit diesem Erdteil sein Gesicht für die beginnende globale Epoche der Weltgeschichte geben wird, England zögernd und spät dem formalen Schritt auf unsere europäische Gemeinschaft zugetan hat, dann ist das nur ein neuer und wir hoffen der letzte Ausdruck jener Besonderheit, jener Absonderung. Die Historiker, und wir mit ihnen, erkennen die vorgegebene, die immer vorhandene Einheit Europas, jener Einheit, die wir nur wiederherstellen, der wir nur einen zeitgemäßen politischen Ausdruck geben wollen – an einer Reihe von geschichtlichen Faktoren, und das sind vor allem: die klassische Tradition, ihre Philosophie, das römische Recht und seine Auseinandersetzung und spätere Vermischung mit germanischen Elementen; das Christentum, Papsttum und Reformation; das Heilige Römische Reich und die Sehnsucht – so oft irregeleitet – nach der mittelalterlichen Einheit; Abenteuer und Solidarität der Kreuzzüge; das Kant'sche Streben nach ewigem Frieden; der Kosmopolitismus, besonders des 18. Jahrhunderts; die Schöpfung der Vereinigten Staaten von Amerika, eine Schöpfung ganz Europas; das organisatorische Genie Napoleons; Duft und Farbe der Romantik; der internationale Sozialismus und die Gewerkschaftsbewegung; der föderalistische Gedanke – und schließlich, nicht zu vergessen, so viel gemeinsames Unglück, so viel gemeinsames Versagen! An all dem hat England unleugbar Anteil gehabt, großen Anteil. Aber jahrhundertelang war England doch durch eine natürliche Grenze vom Kontinent geschieden, die tiefer trennte als die Grenzen der Kontinentalstaaten. Es war ferner eine Seemacht, mit einem wahren Weltreich, mit immensen Besitzungen über See, besonders auch in der gemäßigten Zone der Erde. Seine ganze Geschichte ist durchtränkt von dieser Tatsache. Für sein Verhältnis zu Europa erzeugte sie zwei außenpolitische Maximen, deren Wirkungen wir bis in unsere Tage verspüren: nämlich keine dauernden Bindungen in Europa einzugehen, und keine Hegemonie eines einzelnen Staates in Europa zu dulden. Daher dann die Funktion der englischen Diplomatie in der Erhaltung des europäischen Gleichgewichts.
Das alles muß man sich vor Augen halten, um zu ermessen, welch eine Wendung der britische Entschluß bedeutete, den Europäischen Gemeinschaften beizutreten. Noch Winston Churchill – um den ersten und bis heute einzigen englischen Träger des Karlspreises zu zitieren -, der mit der großartigen Vision der ?Vereinigten Staaten von Europa? so viel getan hat, um unsere Phantasie zu befruchten und unseren Willen zu orientieren, sprach mit einer Selbstverständlichkeit, die uns heute verblüfft, von Großbritannien nicht als einem Mitglied dieser Gründung, sondern einem Freund. ?Bei all dieser dringenden Arbeit?, so sagte er, ?müssen Frankreich und Deutschland gemeinsam die Führung übernehmen; Großbritannien, das Britische Commonwealth of Nations, das mächtige Amerika, und ich traue auch Sowjetrußland – denn dann würde in der Tat alles gut sein – müssen Freunde und Bürgen des neuen Europas sein und müssen die Vorkämpfer für sein Recht sein, zu leben und zu strahlen.? Das war 1946. 1950, am 9. Mai, verkündete Robert Schuman den Plan, der seinen Namen trägt und der die wirtschafts- und sozialpolitische Integration einleitet, die bis auf den Tag die umfassendste und kraftvollste Verwirklichung der politischen Einheit Europas gewesen ist. Noch konnte sich England nicht entschließen, der Einladung zum Beitritt zu folgen. Aber in diesem selben Jahr 1950, am 26. Juni, hielt ein junger Abgeordneter seine Jungfernrede im englischen Parlament. Er sagte darin: ?Vor langer Zeit wurde in diesem Hause gesagt, daß Großherzigkeit in der Politik nicht selten die echteste Weisheit sei. Ich apelliere heute nacht an die Regierung, diesem Ausspruch zu folgen und in den Schuman Plan einzutreten.? Der Redner hieß Edward Heath.
Wenn er heute nach Aachen kommt, aus einem Anlaß, der seine Gedanken auf den größten Mann lenken muß, der je in den Mauern dieser ehrwürdigen Stadt gewirkt hat, Karl den Großen, dann mag er sich wohl erinnern, daß trotz aller Wechselfälle, trotz der Krummheit und Verschlungenheit der historischen Pfade, es eine uralte Straße ist, die den europäischen Kontinent mit der britischen Insel verbindet.
War nicht der Mönch Alkuin aus York das geistige Haupt jener ?Akademie?, die Karl der Große hier an seiner Pfalz aus den bedeutendsten Geistern seiner Zeit zusammenfügte, er selbst nicht nur sie präsidierend, sondern ein Student voller Eifer und Hingabe an dieser Hochschule des Adels, die eine große Bildungsaufgabe zu erfüllen hatte. Hier liegen die Wurzeln dessen, was man die ?karolingische Renaissance? nennt. Mit Recht betont daher die englische Geschichtsschreibung, daß vielleicht niemals ein Engländer wieder einen Einfluß auf die europäische Bildung ausgeübt hat wie Alkuin. Die Deutschen übrigens werden nicht vergessen, daß bei ihm zum ersten Mal in der Sprachgeschichte das Wort ?deutsch? erscheint (9in der lateinischen Form ?theodiscus?). Populär war solches Europäertum freilich schon damals nicht. Wenn wir dem Biographen Alkuins glauben dürfen, so klagten seine Landsleute: ?Gott befreie uns von diesen Engländern, die um diesen ihren Landsmann herumschwärmen wie Bienen um ihre Königin!? Alkuin freilich bewahrte sein Anhänglichkeit an den Kontinent, auch wenn er fern war – an den Kontinent und seine Annehmlichkeiten, darunter gewisse auch heute noch erfreuliche Gegenstände der gemeinsamen Agrarpolitik. Er schreibt einmal: ?Der Wein in unsern Fässern ist alle .... Der Doktor hat mir zwei Sendungen Wein versprochen, gut und rein. Schickt mir eine – wie weit weg Ihr seid!?
Der junge Abgeordnete, der 1950 den Eintritt seines Landes in die Europäische Gemeinschaft forderte, war gute zehn Jahre später Leiter der Delegation für die Verhandlungen über diesen Beitritt.
Herr Minister: Darf ich mir nun erlauben, ein paar persönliche Worte zu sagen? Tatsächlich müssen Sie es mir erlauben, da das eines meiner traditionellen Vorrechte bei der heutigen Feierlichkeit ist. Während jener Verhandlungen lernte ich zum ersten Male den Menschen Edward Heath kennen. Die Umstände waren nicht für ruhige und in Muße geführte Unterhaltung angetan. Aber trotzdem konnten wir viele frei und persönliche Gespräche, selbst außerhalb der formellen Verhandlung, führen; und ich schätze ganz besonders die Erinnerung daran. Alle von uns, die an dieser Verhandlung teilnahmen, können die großen persönlichen Eigenschaften bezeugen, die Sie dazu mitbrachten. Wir konnten nicht immer mit Ihnen übereinstimmen: immerhin liegt das in der Natur jeder Verhandlung – und ganz besonders einer, die mit einem so wichtigen, so folgenschweren und so komplexen Problem verbunden ist, und einer, bei der auf beiden Seiten so berechtigte und lebenswichtige Interessen auf dem Spiele standen. Aber wir konnten nicht anders, als Sie lieben. Wir alle bewunderten Ihre unerschütterliche Energie – die unvermindert anhielt auch bei Sitzungen, die manchmal bis tief in die Nacht hinein andauerten. Wir alle beneideten Ihre unerschütterliche Beherrschung des Themas – die auch nicht durch Schwierigkeiten der Einzelheiten verwirrt wurde, Einzelheiten, die manchmal selbst technische Experten mit offenem Munde dastehen ließen. Wir alle lernten immer mehr Ihre gut Laune und Höflichkeit kennen und schätzen – die selbst bei den allerschwierigsten Augenblicken unbekümmert blieb und die ungetrübt blieb von der Notwendigkeit, gelegentlich kräftig und unverblümt zu sprechen. Und vor allem fühlten wir durch alle unsere Zusammenkünfte mit Ihnen die Tiefe und Aufrichtigkeit Ihrer europäischen Überzeugungen, und deren Bedeutung für Großbritannien, für die Gemeinschaft, für die Welt. Herr Minister, alle die, die heute hier sind, versichern aufs Neue, daß sie diese Überzeugungen teilen, die an eine gemeinsame Vergangenheit erinnern, für die gegenwärtige Freundschaft plädieren und die kommende Einheit ankündigen. In diesem Sinne darf ich Ihnen die allerherzlichsten Glückwünsche aussprechen bei einer Gelegenheit, die uns immer noch enger zusammenbringt