Sehr verehrter Professor Salvador de Madariaga, meine Damen und Herren,
der schönste Ehrentitel, den es seit dem Kriege in den einstigen Ländern Karls des Großen gibt, ist der eines "Großen Europäers". Und wer den Internationalen Karlspreis hier im Aachener Krönungssaal entgegennimmt, dem ist dieser Titel verbrieft. Im Namen der Deutschen Bundesregierung möchte ich Sie, verehrter Don Salvador de Madariaga, zu dieser denkwürdigen Ehrung beglückwünschen.
Zu diesen Ländern König Karls gehörte ein Teil von Spanien, die spanische Mark – so wie ein Teil von Deutschland durch alte Bande miteinander verknüpft. Nicht einmal die Glaubenskriege haben sie trennen können.
Die politische Geschichte der letzten Jahrzehnte hat es mit sich gebracht, daß Spanien noch nicht voll im europäischen Aufbauwerk einbezogen ist. Sie, verehrter Preisträger, haben vor allem das Ihre dazu getan, daß das literarische Spanien mitten unter uns war: in Zürich, London und Paris, in allen Universitäten und Bibliotheken des Kontinents.
Sie haben uns Deutschen ein faszinierendes Bild Ihres Landes und seiner literarischen Schätze geschenkt. Sie haben eine Lebensarbeit daran gewandt, den Angelsachsen und uns auf dem Kontinent den Spanier mit seinem glanzvollen Erbe näherzubringen. Sie haben das mit einer Gedankenfülle getan, die nie eine spanische oder angelsächsische Sonderrolle herausarbeitete, sondern das Familiengespräch in Europa vertiefte. Vor allem haben Sie uns gelehrt, mit Ihrem durchdringenden Blick die Eigenarten und die Geschichte Ibero-Amerikas zu betrachten und die Spiegelungen Europas und Spaniens darin zu erkennen.
Aber ein Lebenswerk- das war für Salvador de Madariaga nicht genug. Er stellte dem Lebenswerk des Gelehrten und Literaten das des Politikers und Diplomaten und das des Publizisten zur Seite. Ich kann und möchte mich mit diesem vielfachen Schaffen nicht in wenigen Minuten auseinandersetzen. Aber ich möchte sagen: Das Werk des Gelehrten und Schriftstellers, des großen Interpreten zwischen uns und der spanisch-iberoamerikanischen Welt wird bei uns in Deutschland Bestand haben.
Es ist die historische Rolle Spaniens gewesen, Europa vor dem Ansturm des Islam zu schützen und ihm mit seiner eigenen Kultur zugleich die geistigen Reichtümer weiterzureichen, die es von seinen arabischen Eroberern empfing. Wenn man hier in der Pfalz König Karls von der Spanischen Mark spricht, so denkt man an Roland. Roland hatte es mit der ersten dieser Aufgaben zu tun; er hat König Karl und die Seinen vor dem arabischen Angriff gewarnt. Ähnlich hat es auch Madariaga – in anderer Richtung blickend – mit den westeuropäischen Völkern getan, als noch ein kälterer Wind in unserem Erdteil blies. Mächtig hat er damals in das Horn "Olifant" gestoßen, so daß der ganze Westen davon widerhallte. Wir Deutschen sollten dabei nicht vergessen, daß es namentlich die Bedrängnis der Berliner war, die ihn dazu angespornt hat.
Gottlob hat er nicht wie Roland geblasen "bis ihm die Adern am Halse zersprangen". Er hat daran gedacht, daß sein Atem noch für andere, friedliche Aufgaben unentbehrlich war.
Verehrter Preisträger,
seit Jahrzehnten vernehmen wir in Ihrer Stimme einen Ruf nach Freiheit. Sie hüteten Ihren Freiheitsbegriff des Liberalismus, unlösbar mit der Idee des Rechtsstaates und der Menschenrechte verbunden. Sie haben Ihre Vorstellungen, Hoffnungen und Sorgen in diesen Freiheitsbegriff gelegt. Sie haben ihn ein halbes Jahrhundert lang verteidigt gegen den Zwang von außen und Verdünnung von innen.
Sie haben die schwierige Rolle des politischen Moralisten übernommen, der stets das Gewissen Europas schlagen fühlte; mit jedem Satz, den Sie als republikanischer Diplomat der 30er Jahre auf der Pariser und Genfer Bühne gesprochen haben und mit jedem Wort, das Sie niederschrieben. Sie haben Ihre Kritik nicht auf die Unterdrücker und Unterdrückten konzentriert, sondern auf uns, die wir die Freiheit des politischen Handelns genießen.
Sicher hat Ihre Kritik auch bei uns Liberalen nicht nur Zustimmung finden können. Sicher haben Sie manchen unserer Wege nicht mitbeschritten. Doch wenn die einen Sie als eine "Institution" in der europäischen Politik bezeichnet haben, so haben andere in Ihnen ein "Phänomen" sehen wollen. Darin aber sind alle sich einig: sie waren unübersehbar. Ich selbst – wenn Sie mir hier ein persönliches Wort gestatten wollen – halte es da ausnahmsweise mit beiden Parteien, denn ich sehe in Salvador de Madariaga eine phänomenale Institution des europäischen Geisteslebens.
Und wenn ich auch mit seinen konkreten Anwendungen seiner politischen Ethik nicht immer einverstanden sein könnte: In den Prinzipien, die er verteidigt und hochhielt, sind wir uns einig. Diese Grundsätze kennen keine Privilegierten und schließen niemanden aus. Ihnen war es stets um Europa zu tun, um das ganze Europa. Dieses unermüdliche Streben um Freiheit und Gerechtigkeit wird heute in Aachen geehrt und in ganz Europa gewürdigt.