Rede des Oberbürgermeisters der Stadt Aachen, Dr. Jürgen Linden

Rede des Oberbürgermeisters der Stadt Aachen, Dr. Jürgen Linden

Verehrte Festgäste,
In Europa wächst die Sehnsucht der Menschen nach Sicherheit.
Der 11. September, Terrorakte und Attentate, der Konflikt im Nahen Osten machen deutlich, dass Europa eine einheitliche und wirksame Sicherheits- und Außenpolitik braucht.
Noch ist das Erscheinungsbild der Europäischen Union uneinheitlich, bestimmt von nationalen Interessen oder sogar widersprüchlich.

Um weltpolitische Bedeutung für Frieden, Freiheit und Demokratie zu bekommen, um einen Beitrag zur Bewahrung der Menschenrechte zu leisten, um den Wunsch nach Sicherheit erfüllen zu können, muß Europa stärker werden.


Innerhalb der Europäischen Union ist bereits Bedeutsames erreicht worden. Sie ist geprägt von ideellen Werten, aber auch vielen materiellen Vorteilen und nützlichen Kooperationsprojekten wie der Wirtschaftsgemeinschaft, der Zollunion oder auch dem Binnenmarkt, die - bei allen noch erfüllbaren Zukunftszielen - den Menschen Glauben und Hoffnung für eine gemeinsame europäische Zukunft geben.
Wohlstand und Stabilität, die Westeuropa seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auszeichneten, sind maßgeblich der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten zu danken. Die Chance, dieses Erfolgsmodell auch auf Mittel- und Osteuropa auszuweiten, dürfen wir uns nicht entgehen lassen.

Die Einführung des Euro ist die pragmatischste, nützlichste Entscheidung der Europäischen Union. Wie kein anderer Integrationsschritt zuvor wird die neue Währung die Identifikation eines jeden Bürgers mit Europa fördern.

Deshalb erhält der Euro in diesem Jahr den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen.
Ich freue mich sehr, dass der Präsident der Europäischen Zentralbank, der ein entscheidender Schrittmacher bei der Verwirklichung des Projektes ist, den Karlspreis heute entgegennimmt und begrüße mit großer Herzlichkeit Herrn Dr. Willem Frederik Duisenberg.


Mit ihm begrüße ich die Karlspreisträger früherer Jahre:

- den Karlspreisträger 1963, den vormaligen britischen Premierminister, Sir Edward Heath
- für die Karlspreisträgerin 1969, die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, den damaligen Vizepräsidenten Dr. Fritz Hellwig und Kommissar Dr. Hans von der Groeben
- für den Karlspreisträger 1986, Seine Königliche Hoheit Großherzog Henri von Luxemburg
- die Karlspreisträgerin 1996, Ihre Majestät, Königin Beatrix der Niederlande
- den Karlspreisträger 1998, den vormaligen Außenminister der Republik Polen, Herrn Prof. Dr. Bronislaw Geremek
- und den Karlspreisträger 2001, den Präsidenten der Akademie der Künste in Berlin, Herrn György Konrád.

Eine besondere Freude bereitet uns mit seiner Anwesenheit der Staatspräsident der Republik Italien, Herr Carlo Azeglio Ciampi, dem ich an dieser Stelle schon danken möchte für die große Ehre, die er uns mit der Laudatio auf den diesjährigen Preisträger erweist.

Herzlich begrüße ich den stellvertretenden Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister des Königreichs Spanien, Herrn Rodrigo de Rato.

Ich begrüße sehr gerne die diplomatischen Vertreter der Länder (in alphabetischer Reihenfolge): Ecuador, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Polen, Schweiz, Spanien, Slowakei, Tschechien, Türkei, Ukraine sowie die Vertretung der Europäischen Union in Deutschland.

Herzlich grüße ich in unserer Mitte den Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Dr. Rudolf Seiters sowie die vormalige Bundestagspräsidentin, Frau Prof. Dr. Rita Süßmuth.

Mit ebenso großer Freude begrüße ich unsere Aachener Bundesministerin für Gesundheit, Frau Ulla Schmidt.

Willkommen heißen wir auch sehr gerne den ehemaligen Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel.

Herzlich grüßen möchte ich auch das Mitglied der Europäischen Kommission, Frau Dr. Michaele Schreyer.


Besonders freuen wir uns über die Anwesenheit des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Wolfgang Clement, der Landesministerin für europäische Angelegenheiten, Frau Hannelore Kraft, der beiden Landtagsvizepräsidenten, Herrn Jan Söffing und Frau Edith Müller, und der thüringischen Landesministerin, Frau Prof. Dr. Dagmar Schipanski.

Ich freue mich sehr über die Anwesenheit des Vorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion, Herrn Friedrich Merz, des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Herrn Ernst Welteke, seines Vorgängers, Herrn Prof. Dr. Hans Tietmeyer und des Ministerpräsidenten der Deutschsprachigen Gemeinschaft Ostbelgien, Herrn Karl-Heinz Lambertz.

Willkommen heißen wir den Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Herrn Dieter Philipp, die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Frau Petra Roth, den Regierungspräsidenten zu Köln, Herrn Jürgen Roters und den Vorsitzenden der Stiftung Internationaler Karlspreis, Herrn Helmut Werner.

Darüber hinaus grüße ich Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff sowie die Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie viele weitere, namhafte Persönlichkeiten, die uns durch ihre Anwesenheit ehren. Ihnen allen, die Sie an diesem heutigen Ereignis hier im Krönungssaal oder an Radio und Fernsehen teilnehmen, gilt der aufrichtige Gruß der Stadt Aachen.


Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Der EURO ist seit gut vier Monaten Normalität in Europa.

Wenn die Menschen heute an der Algarve oder in der Lombardei, in der Bretagne oder dem Rheinland, in Lappland oder Brabant in gleicher Währung zahlen, dann tragen sie Europa wortwörtlich als bare Münze in der Tasche, greifen mit den Händen, dass Europa eine gewachsene Gemeinschaft und der Euro hierfür ein Symbol ist.

Es verbessert das europäische Bewusstsein nachhaltig, dass man seinen Kaffee im Nachbarland nun mit dem selben Geld bezahlen kann.

Man muß nicht an den legendären Krösus von Lydien, an Alexander oder Karl den Großen mit ihren einheitlichen Münzsystemen für ihre Großreiche erinnern. Der Euro ist Produkt politischer Vision und des realen Pragmatismus einer Vielzahl überzeugter Europäer.


Ohne den wegweisenden Bericht zur Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion von Pierre Werner, ohne die Ideen von Helmut Schmidt und Valéry Giscard d”˜Estaing zur Gründung des europäischen Währungssystems EWS und dem Ecu als Verrechnungseinheit, ohne Jacques Delors”˜ Vorstoß für eine unabhängige EZB und die Angleichung von Zinsen, Inflationsraten und öffentlichen Finanzen, wäre der Euro, wäre der Gründungsakt im Maastrichter Vertrag von 1992 nicht denkbar.

1997 kam durch das Engagement von Helmut Kohl und Theo Waigel der Pakt für Stabilität und Wachstum hinzu, so dass zum 01.01.1999 zwölf Teilnehmerstaaten in ein neues europäisches Zeitalter starten konnten.
Der damalige italienische Finanzminister Azeglio Ciampi sah darin den entscheidenden Gestaltungsakt für die Zukunft der Europäischen Union.
All diesen wegweisenden Entscheidungsträgern und ihren Helfern, vor allem Wim Duisenberg, der mit dem Direktorium der EZB aus der Idee Realität werden ließ, ist heute herzlich zu danken.

Der Euro und die Währungsunion werden noch wichtige Bewährungsproben zu bestehen haben.

Allerdings: jetzt wird der gemeinsame Markt vollendet und eines Tages die Europäische Union - mit dann mehr als 450 Millionen Bürgern - zu einer großen Volkswirtschaft zusammenwachsen lassen.


Die neue europäische Volkswirtschaft wird alle Vorteile des großen Maßstabes mit sich bringen. Mehr als die Hälfte aller Ex- und Importe werden sich schnell in schlichten Binnenhandel verwandeln. Es wird keine großen Transferkosten und keine Notwendigkeiten geben, sich gegen Wechselkursschwankungen abzusichern. Zwischen den Teilnehmerstaaten sind Wechselkursrisiken sogar ausgeschlossen. Preise, Löhne und Steuern werden vom hohen Norden bis zum Mittelmeer für jeden Bürger durchsichtig. Die einfache Vergleichbarkeit wird den Wettbewerb intensivieren und den Druck zur Harmonisierung der europäischen Steuersysteme erhöhen. Das bedeutet Chancen auf Wachstum und sicher auch Stabilisierung von Arbeitsplätzen.

Natürlich macht auch der TEURO die Runde.
Es hat Trittbrettfahrer gegeben - im Handel, in Hotellerie und Gastronomie, nicht allerdings im sog. Statistischen Warenkorb. Deshalb ist die Hoffnung realistisch, dass der Wettbewerb den Anheizern schon bald das Mütchen kühlt.

Die Währungsunion wird auch die Transparenz des Finanzsystems und den Vergleich zu den anderen weltweiten Leitwährungen verbessern.


Der Wettstreit zwischen den Währungen wird sich nicht von heute auf morgen entscheiden. Den Ausschlag werden die Volkswirtschaften in der Euro-Zone, den USA oder Asien geben, das jeweilige Wachstum, die stabileren Preise. Dennoch ist vorhersehbar, dass in vielleicht schon wenigen Jahrzehnten neben US-Dollar, Euro und chinesischem Y_an kaum weitere Welt- und damit kaum größere Reservewährungen existieren werden.

Der Euro ist bereits heute eine der großen Antworten Europas auf die Globalisierung der Weltwirtschaft und den immer stärkeren weltweiten Wettbewerb zwischen nationalen Volkswirtschaften. Die Währungsunion selbst ist ein Stück Globalisierung. Der Wechselkurs ist nicht länger Instrument der Politik, sondern die Volkswirtschaften müssen genügend flexibel sein, sich auf Veränderungen einzustellen.
Der Euro steht so nicht gegen die Globalisierung, sondern kann Mittel zu ihrer Beherrschung sein.

Erfolgreiche Währungen waren in der Geschichte schon immer mehr als nur ein Zahlungsmittel. Sie waren und sind stets auch ein Stück gemeinsamer Identität und Kultur, ein Gradmesser politischer, wirtschaftlicher und sozialer Stabilität.

In diesem Sinne ist der Euro nicht allein Werteinheit, sondern auch Wertmaßstab. Er entfaltet integrative, vielleicht sogar friedensstiftende Wirkung. Wer künftig durch Euro-Land reist, wird durch den Euro ein reales „Stück Heimat“ auch jenseits der nationalen Grenzen erleben können.
Hier im Dreiländereck - mit 3 Sprachen, fünf Kulturen - erfahren wir dies seit dem 01. Januar unmittelbar.

Es ist jetzt nur konsequent, nach der Schaffung des gemeinsamen Marktes und der Währung auch die anderen notwendigen gesellschaftlichen Impulse über nationale Grenzen hinweg zu setzen: das demokratische und verfasste Europa sowie die gemeinsame Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik.
Europa muß eine Verantwortungsgemeinschaft werden.
Dazu wünschen wir dem Verfassungskonvent guten Erfolg.

Der Euro verändert Europa.
Den Euro zu einem Zukunftserfolg zu machen, liegt in unserer Hand.
Europa zu vollenden, ist unser aller Aufgabe.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
mit der Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen im Jahr 2002 verbindet das Karlspreisdirektorium die Erwartung, dass das gemeinsame Zahlungsmittel die Menschen unseres Kontinents noch enger zusammenführt, dass die praktische und die identitätsstiftende Wirkung des Euro starke Anziehungskraft auch auf die Staaten ausübt, die heute noch nicht die gemeinsame Währung eingeführt haben und auf die, die noch nicht der Gemeinschaft angehören. Die Verleihung unterstreicht unseren Willen, die Währungsunion unumkehrbar zu machen und alle die zu ermutigen, die maßgebliche Impulse für die Gestaltung der zukünftigen europäischen Union setzen.


Gleichzeitig würdigt die Verleihung auch die Verdienste all jener Persönlichkeiten, die mannigfachen Widerständen zum Trotz an der Vision der gemeinsamen Währung für das vereinte Europa festgehalten und sie verwirklicht haben.
Stellvertretend für all diese Bemühungen und für den Erfolg der gemeinsamen Währung steht als Wächterin über den Prozess und die Stabilität die Europäische Zentralbank mit ihrem Präsidenten Wim Duisenberg.
Sehr geehrter Herr Präsident, ich danke Ihnen persönlich und all Ihren Kollegen und politischen Weggefährten für das, was Sie getan haben. Ich gratuliere auch Ihnen zur Verleihung des Karlspreises im Jahr 2002.