Verehrte Festgäste,
heute von 63 Jahren, am 9. Mai 1950, hat der damalige französische Außenminister Robert Schuman den bahnbrechenden Vorschlag unterbreitet, eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl einzurichten. Die Gründungsstaaten haben ihre Freiheit genutzt und trotz bitterer Erfahrungen der Vergangenheit ihr gegenseitiges Vertrauen bewiesen, diesen wichtigen ersten Schritt zur Einigung des Kontinents zu tun. Für viele Völker östlich des Eisernen Vorhangs, der Europa zerschnitten hat, sollte es dagegen noch 40 weitere Jahre
dauern, bis auch sie die Freiheit erringen konnten, selber zu entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen.
Blicken wir einmal historisch zurück in den Ostseeraum: Wichtige Nachbarn, Handelspartner der Vergangenheit und Europäer wie wir – Estland, Lettland und Litauen – waren Teil der Sowjetunion, okkupiert und annektiert aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes. Erst die Perestroika, der Wandel in Moskau, hat auch der baltischen Region die Chancen der Freiheit beschert.
Diese zu nutzen erforderte große Opfer. Die eigene Unabhängigkeit mussten die Menschen in Litauen 1991 gegen Panzer und mit Verlusten durchsetzen. Der Freiheitsdrang des litauischen Volkes war enorm groß, und wie selbstverständlich führte der Weg danach in die Familie der Staaten in der Europäischen Union.
Ebenso wie Estland und Lettland ist Litauen heute ein engagierter Mitgliedsstaat der EU. Litauen wird ab Juli dieses Jahres die Ratspräsidentschaft der EU übernehmen und steht kurz davor, der Eurozone beizutreten. Die Menschen sind motiviert, die wirtschaftliche Entwicklung ist solide. Das bestimmende Thema ist nicht nur die Krise, sondern es sind auch die Chancen, die Möglichkeiten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alltags. Es sind aber auch die Visionen einer generellen Perspektive für den Ostseeraum, nämlich eingebunden in die Allianzen unseres gemeinsamen Kontinents Frieden, Freiheit und Sicherheit zum Wohle der Menschen zu nutzen. Das ist der europäische Weg, den Litauen gewählt hat.
An einem der wichtigen historischen Orte Europas, in der Kaiserpfalzanlage Karls des Großen in Aachen, begrüße ich mit großer Freude die Karlspreisträgerin 2013, die Staatspräsidentin der Republik Litauen, Ihre Exzellenz Frau Dr. Dalia Grybauskaitė.
Herzlich willkommen heißen wir S. E. den Präsidenten des Europäischen Parlamentes, Herrn Martin Schulz.
Wir begrüßen sehr herzlich den Karlspreisträger des vergangenen Jahres, den Bundesminister der Finanzen der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Dr. Wolfgang Schäuble.
Es ist uns eine große Ehre, den Karlspreisträger des Jahres 2011 erneut hier in Aachen begrüßen zu können, den ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Herrn Dr. Jean-Claude Trichet.
Wir freuen uns außerordentlich über die Anwesenheit des Karlspreisträgers des Jahres 2004, des ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlamentes, Mr. Pat Cox.
Herzlich willkommen heißen wir S.E. den Präsidenten des Europäischen Rates, Herrn Herman Van Rompuy.
Wir begrüßen I.E. die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Frau Anni Podimata sowie S.E. das Mitglied der Europäischen Kommission, Herrn Algirdas Šemeta.
Wir freuen uns sehr über die Anwesenheit zahlreicher hochrangiger litauischer Gäste, darunter das erste Staatsoberhaupt Litauens und späterer Parlamentspräsident, Herr Prof. Vytautas Landsbergis, die ehemaligen Ministerpräsidenten Litauens und Mitglieder des litauischen Parlaments, Herr Gediminas Kirkilas und Herr Andrius Kubilius, sowie den ehemaligen Parlamentsvorsitzenden Litauens, Herrn Ceslovas Juršenas.
Ich begrüße sehr gerne die Exzellenzen, die Botschafter der Länder Republik Kroatien, Rumänien, Slowakische Republik, Republik Mazedonien, der Republik Frankreich, Spanien, der Ukraine sowie der Republik Litauen und die Generalkonsule der Vereinigten Staaten von Amerika, der Republik Kroatien, Belgien, die Generalkonsulin der Portugiesischen Republik und weitere Mitglieder des konsularischen Corps.
Ein herzlicher Willkommensgruß gilt der Präsidentin des nordrheinwestfälischen Landtages, Frau Carina Gödecke, der stellvertretenden NRW-Ministerpräsidentin, Frau Sylvia Löhrmann, sowie der Landesministerin Frau Dr. Angelica Schwall-Düren.
Wir begrüßen herzlich den Generalsekretär des Europäischen Parlaments, Herrn Klaus Welle, den Ehrenpräsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Herrn Dr. René van der Linden und den ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlamentes, Herrn Hans-Gert Pöttering, und wir freuen uns über die Anwesenheit zahlreicher Mitglieder des Europäischen Parlamentes sowie des Bundestages und des nordrhein-westfälischen Landtages.
Darüber hinaus begrüße ich mit Freude S.E. Herrn Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff sowie die Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften, und für den Karlspreisträger 1951, den vormaligen Rektor des Europa-Kollegs, Herrn Professor Dr. Hendrik Brugmans, der viele Jahre treuer Gast der Karlspreisverleihungen hier in Aachen war, begrüße ich seine Witwe, Frau Hannah Brugmans-Kirsten.
Herzlich willkommen heißen wir die Preisträger des Europäischen Jugendkarlspreises dieses Jahres, allen voran den Vertreter des Siegerprojektes aus Spanien, Herrn Luis Alvarado Martinez.
Ihnen und vielen weiteren Persönlichkeiten, die uns durch ihre Anwesenheit ehren, aber auch den Zuhörern und Zuschauern der Übertragung dieses Festaktes gilt der herzliche Gruß der Stadt Aachen.
Die heutige Verleihung des Internationalen Karlspreises findet einmal mehr in schwierigen Zeiten statt. Wir schreiben das fünfte Jahr der Finanzkrise, die bei den Banken begann, die Realwirtschaft ins Stocken gebracht und dann die Staatshaushalte erschüttert hat. Weil es kaum Reserven für die Kapriolen an den Finanzmärkten gab, sind die Folgen unausweichlich: Es muss Vorsorge getroffen werden, dass Banken ebenso wie Staaten solider finanziert werden, und zwar überall, denn die Verflechtungen unseres Wirtschaftssystems erlauben keine Ausnahmen. Das ist leichter gesagt als getan, denn das erfordert Selbstbeschränkung und Ausgabendisziplin, das erfordert vielfachen Verzicht.
Auch eine Weiterentwicklung der Finanzordnung ist notwendig, um den inneren Ausgleich eines Währungsgebietes zu organisieren, das so sehr unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten aufweist. Die Zeit drängt, denn die ökonomischen Differenzen kumulieren sich Jahr für Jahr.
Die Weiterentwicklung ist aber auch politisch unumgänglich. Europa ist mit der Einführung des Euro den Weg gegangen, die Gemeinschaftswährung als Instrument zur weiteren Beförderung der europäischen Einigung zu installieren, noch bevor wesentliche Politikfelder der Mitgliedsstaaten synchronisiert wurden. Eine ökonomische Notwendigkeit war der Euro nur bedingt, vielmehr war und ist der Euro Teil einer gemeinsamen politischen Strategie.
Europas Weg kann daher nur die Aufnahme weiterer Staaten in die Eurozone sein, und nicht der Ausschluss bisheriger Mitglieder. Eine abgestimmte Wirtschafts- und Finanzpolitik muss möglich sein, um das viel größere Ziel, nämlich gemeinsam stärker zu sein als alleine, zu erreichen. Ein Blick auf die Entwicklung der Weltmärkte und der globalen Bevölkerungszuwächse verrät, dass nur ein gemeinsames Europa langfristig wettbewerbs- und handlungsfähig sein wird.
Es gilt jetzt sicherzustellen, dass die Vorteile einer gemeinsamen Währung für alle Partner erkennbar werden. Die Bürger der Grenzregionen Europas wie bei uns im Dreieck Aachen – Maastricht – Lüttich sehen die ganz praktischen unmittelbaren Vorteile im Alltag sicher deutlicher als Andere, und Ähnliches gilt für die Bürgerinnen und Bürger relativ kleiner Staaten. Hier gibt es direkte wirtschaftliche Vorteile und Erleichterungen, und so würde es auch Litauen gehen, vor allem dann, wenn noch mehr Staaten des Ostseeraumes zu Mitgliedern der Eurozone werden.
Aber noch folgt in der öffentlichen Wahrnehmung dem Wort Euro oft das Wort Krise, auch wenn die Finanzkrise mit dem Fakt der gemeinsamen Währung gar nicht so viel zu tun hat.
Der Weg aus der Krise wird uns noch lange beschäftigen. Nicht wenige sagen, dass wir Jahrzehnte brauchen werden, um die Fehler nachhaltig zu korrigieren, die ebenfalls über Jahrzehnte gemacht wurden:
die Vernachlässigung der Risikobetrachtung der Banken;
die zu geringe Eigenkapitalausstattung;
öffentliche Haushalte mit zu leichtfertiger Verschuldung
und vielleicht mehr noch als alles andere fehlende Ehrlichkeit bei der Betrachtung der Wirkung langfristiger Verbindlichkeiten von Gebietskörperschaften.
Zugleich ist bei allen Maßnahmen der Krisenbewältigung darauf zu achten, dass dieses sozial ausgewogen geschieht und sich nicht ganze Schichten einer Gesellschaft als benachteiligte Verlierer eines Reformprozesses erfahren.
Nach fünf Jahren Krise scheint die Frage von Ursache und Wirkung immer häufiger verdreht zu werden. Und zugleich ist eine Abstumpfung gegenüber Krisenberichten zu beobachten. Es ist nichts Neues mehr. Zypern scheint weit weg zu sein. Die deutsche Wirtschaft vermeldet überwiegend positive Tendenzen. Und manche suchen die simplen Antworten, die Parolen der Renationalisierung. Was oft fehlt, ist der Gemeinsinn und das Bewusstsein, dass nach so vielem, was schon gemeinsam geschafft wurde, Probleme wie die viel zu hohe Jugendarbeitslosigkeit nur gemeinsam zu lösen sind. Für Herausforderungen dieser Art sind die Mechanismen in der Zusammenarbeit der europäischen Staaten zwar vorhanden, aber deren Anwendung erfolgt zu zögerlich. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass eine fehlende Perspektive junger Menschen am Ende das Vertrauen in den Einigungsprozess zerstört, dass fehlende Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger dieses einzigartige Freiheits- und Friedensprojekt von innen aushöhlt.
Arbeitslosigkeit zu verringern ist sicher eine der komplexesten Herausforderungen für jede Volkswirtschaft. Die Maßnahmen der Politik beschränken sich dabei bisher zu sehr auf die nationale Ebene, anstatt die gesamte EU als unsere gemeinsame Volkswirtschaft zu betrachten.
Ich möchte gerne eines Tages sagen können, dass es in diesem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gelungen ist, die gesamte Solidarität der Völker und Staaten Europas zu bündeln im Kampf gegen die dramatische Jugendarbeitslosigkeit, ich möchte sagen können, dass dieser Kampf erfolgreich war und dass es der fortgeschrittenen Einigung Europas zu verdanken ist, dass jungen Menschen aller Regionen unseres Kontinents eine Chance auf Ausbildung und berufliche Perspektiven gegeben wird.
Warum fällt es uns so schwer, den Blick für das Ganze zu bewahren, Europa auch in der Krise als etwas Positives wahrzunehmen? Ist es zu komplex, zu vielfältig, um es begreifen und die Chancen erkennen zu können? Längst macht das Wort der „Legitimationskrise“ europäischer Einigungspolitik die Runde. Vielleicht ist es in dieser Zeit, in der viele an Europa zweifeln, gut, immer wieder auch die Sinnfrage zu stellen, die Quelle wieder freizulegen, aus der die Vision der Einigung geschöpft hat, wieder das Ziel vor Augen zu haben, das Generationen von Europäern überzeugt und begeistert hat.
In Litauen ist der Sinn der Einigung Europas in Frieden, Freiheit und Demokratie viel greifbarer und präsenter als in vielen anderen Staaten Europas. Im Januar 1991 haben die Menschen in Litauen mit ihrem Leben die Freiheit erkämpft und die Erinnerung daran ist noch sehr präsent.
Mit der gewonnenen Freiheit blüht Litauen auf und entscheidet sich für den europäischen Weg. 2004 kann erstmals auch dort das Europäische Parlament gewählt werden. Damals machte Litauen aus Anlass seines Beitritts zur Europäischen Union mit einer ungewöhnlichen Aktion auf sich aufmerksam: Für kurze Zeit wurde das Land mit allen verfügbaren Mitteln hell erleuchtet. Plötzlich war Litauen das leuchtendste, das strahlendste Land Europas, was zumindest aus dem All sehr gut erkennbar gewesen sein muss.
Heute strahlt Litauen als aktives und attraktives Mitgliedsland, und wir müssen nicht auf ein Foto aus dem All zurückgreifen, um die Strahlkraft zu erkennen, die auf der Sehnsucht nach Freiheit basiert und die in Europas Einigung vertraut.
Das ist das Ergebnis einer vorwärtsgewandten Politik, einer mutigen Politik, einer selbstbewussten Politik, wie sie von Frau Präsidentin Grybauskaitė verkörpert wird. In Vilnius, Brüssel und Washington hat Sie für ihr Land gewirkt, als EU-Kommissarin hat sie hohes Ansehen erworben.
Entscheidende Weichenstellungen in der EU sind unter ihrer Regie entstanden, z.B. die Strukturhilfefonds für wirtschaftlich schwächere Regionen und die Reform der Struktur des EU-Haushaltes. Diese Initiativen stehen symbolisch für die Verbindung von Solidarität und Solidität, die sie als Grundlage des Zusammenwirkens der europäischen Völker ansieht.
Europa ist bereit für Neuerungen. Und die kommen bekanntlich nicht immer aus der Mitte, aus der Zentrale, oder aus den vermeintlich großen starken Stützen Europas, in denen eingefahrene Strukturen und die eigene Größe zuweilen hemmend wirken. Es sind die kleineren Mitgliedsstaaten, die beweglichen, flexiblen Partner, die Europa gut tun. Kulturhistoriker nennen das die schöpferische Kraft der Peripherie.
Und es sind Persönlichkeiten wie Frau Dr. Grybauskaitė, die der europäischen Politik ein Gesicht geben, die Orientierung vermitteln. Diese Orientierung hat viel mit Hoffnung zu tun, die sie in Europa setzen. Zugleich aber arbeitet die Präsidentin der Republik Litauen unermüdlich daran, dass sich diese Hoffnungen für die Bürgerinnen und Bürger ihres Landes erfüllen.
Wünschen wir den Menschen in Litauen viel Erfolg als unsere Partner in Europa, auf ihrem europäischen Weg.
Die Laudatio auf die diesjährige Trägerin des Internationalen Karlspreises zu Aachen wird der Präsident des Europäischen Parlaments, Herr Martin Schulz halten, dem ich dafür herzlich danke. Mir bleibt zu sagen, dass Europa heute nach Litauen blickt.
Herzlichen Glückwunsch, Frau Dr. Grybauskaitė.