Verehrte Festgäste,
Für eine europäische Verfassung ist die Zeit noch nicht reif.
Dennoch: Der Reform-Vertrag von Lissabon wird als weiterer Meilenstein des Fortschritts in die europäische Geschichte eingehen. Er ermöglicht der Union nach jahrelangem Ringen, Entscheidungsprozesse zu verbessern, die innere Organisation zu erneuern und sich mehr als bisher auf Gemeinsamkeiten in der Außen- und Sicherheitspolitik zukonzentrieren. Er ermöglicht es Europa aber vor allem, sich durch gewählte Vertreterendlich auch ein Gesicht zu geben. Natürlich ist nicht alles Gold, was an diesem Vertrag glänzt. Wenn jedoch die Ratifizierung gelingt, werden die Strukturen der Europäischen Union klarer, ihre Politik verständlicher.
Der Vertrag stärkt die Demokratie, die Rechte des Europäischen und der nationalen Parlamente; er stärkt auch die Rechte eines jeden einzelnen Bürgers. Europa kann seinem Traum, die Einheit zu verwirklichen, wieder einen großen Schritt näher kommen. Der Schub für diesen Fortschritt ist maßgeblich zurückzuführen auf die deutsche Rats-Präsidentschaft im Jahr 2007, auf das engagierte, sachliche und geschickte Verhandelnder deutschen Bundeskanzlerin, auf ihren dezenten, aber ansteckenden Optimismus sowie auf die Überzeugungskraft dieser großen Europäerin. Mit großer Freude begrüßen wir die Trägerin des Internationalen Karlspreises 2008, Frau Dr. Angela Merkel.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Frau Dr. Merkel,
Seien Sie herzlich willkommen in Aachen. Ich begrüße die Karlspreisträger früherer Jahre:
- den Karlspreisträger 1976, den vormaligen Ministerpräsidenten des Königreichs Belgien, Herrn Leo Tindemans;
- den Karlspreisträger 1977, den ehemaligen Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Walter Scheel;
- den Karlspreisträger 1979, den früheren Präsidenten des Europäischen Parlaments, Herrn Emilio Colombo;
- die Karlspreisträgerin 1981, die vormalige Präsidentin des Europäischen Parlaments, Frau Simone Veil;
- den Karlspreisträger 1982, S.M. König Juan Carlos I. von Spanien;
- den Karlspreisträger 1997, den ehemaligen Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Roman Herzog;
-den Karlspreisträger 1998, den vormaligen Außenminister der Republik Polen, Herrn Bronislaw Geremek;
- für den Karlspreisträger 2002, den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Herrn Jean-Claude Trichet;
- den Karlspreisträger 2005, den früheren Staatspräsidenten Italiens, Herrn Carlo Azeglio Ciampi;
- den Karlspreisträger 2006, den Premierminister des Großherzogtums Luxemburg, Herrn Jean-Claude Juncker;
- und den Karlspreisträger 2007, den Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Generalsekretär des Rates der Europäischen Union, Herrn Javier Solana Madariaga.
Eine besondere Freude bereitet uns mit seiner Anwesenheit der Präsident der Republik Frankreich, Herr Nicolas Sarkozy, dem ich an dieser Stelle schon danken möchte für die große Ehre, die er uns mit der Laudatio auf die diesjährige Preisträgerin erweist.
Herzlich begrüße ich den Ministerpräsidenten des Königreichs der Niederlande, Herrn Jan Peter Balkenende und den Premierminister des Königreichs Belgien, Herrn Yves Leterme.
Verehrte Gäste, wir haben heute sehr viele Ehrengäste: Vielleicht sollten wir im Sinne des Programmablaufs allen, die mit uns für Europa verbunden sind, den verdienten Applaus, erst am Ende der Begrüßung entgegenbringen.
Herzlich grüße ich in unserer Mitte den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Herrn Norbert Lammert.
Grüßen möchte ich den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Herrn Hans-Gert Pöttering, den Präsidenten der Europäischen Kommission, Herrn José Manuel Barroso und den Vizepräsidenten, Herrn Günter Verheugen.
Herzlich grüßen möchte ich auch den ehemaligen Bundeskanzler der Republik Österreich, Herrn Wolfgang Schüssel, den vormaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments, Herrn Klaus Hänsch, den Präsidenten a. D. der Parlamentarischen Versammlung René van der Linden sowie die frühere Präsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Rita Süßmuth.
Willkommen heißen wir den Minister für Auswärtige Angelegenheiten Kroatiens, Herrn Gordan Jandrokovic, den Außenminister des Großherzogtums Luxemburg, Herrn Jean Asselborn, den Außenminister der Republik Makedonien, Herrn Antonio Milososki, den früheren polnischen Außenminister Herrn Wladyslaw Bartoszewski sowie den niederländischen Europa-Minister Frans Timmermanns. Ich begrüße sehr gerne die Botschafter und diplomatischen Vertreter der Länder (in alphabetischer Reihenfolge): Belarus, Belgien, Frankreich, Griechenland, Indien, Irland, Italien, Kroatien, Luxemburg, Makedonien, Niederlande, Polen, Portugal, Russische Förderation, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn, Vereinigte Staaten von Amerika und Zypern.
Mit großer Freude begrüße ich den Chef des Bundeskanzleramtes, Herrn Thomas de Maizière.
Wir freuen uns über die Anwesenheit des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Jürgen Rüttgers, über die Landtagspräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Regina van Dinther sowie die Landesminister Herrn Andreas Pinkwart, Frau Christa Thoben, Frau Barbara Sommer und Herrn Armin Laschet.
Ein herzlicher Gruß gilt auch dem Commander der Joint Forces NATO, Herrn General Ramms.Wir freuen uns über die Anwesenheit der Bürgermeister und Landräte aus unseren Partner- und Nachbarschaftskommunen, der Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften, der Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Frau Charlotte Knobloch sowie vieler weiterer, namhafter Persönlichkeiten, die uns durch ihre Anwesenheit ehren.
Ihnen allen, die Sie an diesem heutigen Ereignis hier im Krönungssaal oder an Radio und Fernsehenteilnehmen, gilt der aufrichtige Gruß der Stadt Aachen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Fortschritte in der Europäischen Union fallen nicht wie das Manna vom Himmel. Die Integration ist ein politischer Prozess, der durch 27 Mitgliedsstaaten zwar um ein Vielfaches europäischer geworden ist, doch zugleich auch schwieriger und komplizierter. Ziel dieses Prozesses sind Frieden, Freiheit, Demokratie und ein hohes Maß an Lebensqualität. Dem sind wir bis heute sehr nahe gekommen.
Allerdings: diese ideellen Werte sind den meisten schon zur Gewohnheit, zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Bürger wollen eher ein Europa, dass ihnen die Angst vor Arbeitslosigkeit und der Billigkonkurrenz nimmt, ihr Geld vor unanständigen Finanzgeschäften schützt, die Umweltintakt hält und die persönliche Sicherheit gewährleistet. Die Bürger wollen, dass die Union die Auswirkungen der Globalisierung in den Griff bekommt und dem Einzelnen eine wirksame Schutzgemeinschaft ist.
Jedoch: Patentrezepte gibt es nicht und Politik ist nicht allzuständig, kann deshalb auch nicht alles regeln. Europa muss daher das Machbare machen. Europa muss verdeutlichen, dass wir gemeinsam bestimmte Aufgaben besser bewältigen. Die Erwartungen der Menschen betreffen vor allem die Sicherheit und den Frieden, den Erhalt des Lebensraumes und die Wohlstandssicherung. In den Sicherheitsfragen sind wir in den letzten Jahren durch die Aufstellung von Kriterien und Vereinbarungen über das Krisenmanagement schon erhebliche Schritte weitergekommen. Europa verfügt über eine gemeinsame Bedrohungsanalyse und strategische Leitlinien für die Abwehr. Allerdings unverwundbar sind wir nicht und zur Verwirklichung eines effektiven Schutzschildes wird es noch vieler Anstrengungen bedürfen. Die Außenpolitik bleibt das schwierigste Feld - auch weil Innenpolitik etlicher EU-Mitglieder immer mehr die Außenpolitik bestimmt.
Fortschritte sind deshalb rar und der Europäische Außenminister ist noch immer eine Wunschformulierung. Zwar wird sich der künftige Hohe Vertreter auf einen eigenen diplomatischen Dienst stützen und dem Auftreten der Europäer in der Welt vielleicht ein Gesicht geben können, doch eingemeinsames Auftreten nur in der UNO oder die Einführung einer Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit unter dem Dach der Europäischen Union, vor allem aber das Sprechen mit einer Stimme gegenüber den Konflikten in dieser Welt, ist Zukunftsmusik.
Dabei steht die Union unter Erfolgsdruck, denn sie muss vor allem in Asien und Afrika strategische Partnerschaften anstreben und mit Leben füllen, muss neben dem amerikanischen Partner möglichst gleichgewichtig erscheinen und immer verdeutlichen, dass Europäische Außenpolitik zugleich auch Friedenspolitik ist.
Der Beitritt der EU zur Menschenrechtskonvention wird ein großer Schritt in diese Richtung sein; Ihr Treffen, Frau Bundeskanzlerin, mit dem Dalai Lama, war ein ebenso wichtiges Signal. Ein wichtiger Schritt wäre auch ein Erfolg für das Klimabündnis. Vielen Menschen ist die Notwendigkeit dieses Überlebensvertrages bewusst. Die Europäische Union kann gerade in dieser Frage zeigen, dass Gemeinsamkeit effizienter ist als nationale Alleingänge.
Das angedachte Maßnahmenpaket zur Reduktion der Schadstoffe und einer verbesserten Energieeffizienz ist gut. 20% geringere Schadstoffemissionen wären ein Stück mehr Lebensqualität für kommende Generationen, wären auch ein ideales Vorbild, das die europäische Union der Welt übermittelt. Es muss schließlich politisch machbar sein, Europa wettbewerbsfähiger, dynamischer und wirtschaftlich erfolgreicher zu machen. Attraktive Rahmenbedingungen für Investitionen, eine hochmoderne Infrastruktur und die verstärkte Förderung der Forschung, vor allem der Innovationen müssen die europäische Antwort auf den globalen Wettbewerb sein.
Europa darf ruhig wagen, eine neue Risikokultur zu entwickeln und die Grenzen der Forschung auszudehnen. Europa muss mindestens seine Hochschulen reorganisieren und den finanziellen Einsatz für Bildung und Ausbildung erhöhen. Europa muss Kreativität entwickeln und Menschen belohnen, die mit innovativen Ideen und ihrer konsequenten Umsetzung neue Produkte oder Dienstleistungen schaffen, neue Märkte angehen und so die Wettbewerbsvoraussetzungen für unseren Kontinent verbessern.
Was gemacht werden kann, ist seit Jahren beschrieben. Doch leider gab es jahrelang Entscheidungsstau unter den Politikern und Bürger reagierten mit Vertrauensverlust. Erst unter dem EU-Ratsvorsitz der deutschen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ist wieder Bewegung in die Sache gekommen.
Schon im März 2007 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer auf die Strategie zur Stärkung der Wissenschaft, der Innovationsfähigkeit der Wirtschaft und der Optimierung der Bildungseinrichtungen.
Zeitgleich setzte der Frühjahrsgipfel verbindliche Ziele beim Klimaschutz fest und beschloss den Ausbau erneuerbarer Energien. Im Juni dann wurden die Voraussetzungen für den Vertrag von Lissabon gelegt, der die großen gemeinsamen politischen Ziele durch eine Reform der Institutionen und zentrale Vereinbarungen für die Ausweitung des Entscheidungsprozesses beinhaltete. Das war der Durchbruch.
Ihr Einsatz, Frau Bundeskanzlerin, hat die Handlungsfähigkeit Europas in vielen politischen Fragen gestärkt, die Bedeutung für die Menschen haben. Das alles ist ein Qualitätssprung nach vorne, für den wir Ihnen herzlich danken. In Ihrer Aufsehen erregenden Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg vor gut einem Jahr haben Sie gesagt: "Mit der europäischen Einigung ist den Völkern Europas eingroßes Glück gelungen. "Ihre Vision vom Glück haben Sie mit den Werten der Vielfalt, der Freiheit und der Toleranz umschrieben und schließlich aus Lessings Nathan den einen Satz zitiert, der alles Trennende überwindet: "Sei mein Freund." Vielfalt, Freiheit, Toleranz - das sind Werte der Europäischen Union, die in langer, nicht nur friedlicher Geschichte erarbeitet wurden. Vielfalt, Freiheit, Toleranz - das sind heute die Reichtümer des europäischen Lebensmodells.
Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben zum harmonischen Miteinander unter den Menschen in Europa, haben zu unserem Glück einen erheblichen Beitrag geleistet. Dafür ehrt das Direktorium zur Verleihung des Internationalen Karlspreises Sie in diesem Jahr mit der 50. Auszeichnung. Wir freuen uns, dass der Karlspreis an eine große Europäerin geht, die mit Mut und Tatkraft, Zielstrebigkeit und Verhandlungsgeschick Europa vorangebracht hat.
Frau Bundeskanzlerin, wir gratulieren sehr herzlich.
Es gilt das gesprochene Wort!