Laudatio des Präsidenten der Französischen Republik, Nicolas Sarkozy

Laudatio des Präsidenten der Französischen Republik, Nicolas Sarkozy

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela
sehr geehrter Herr Bürgermeister,
Meine Damen und Herren,


die Verleihung des Karlspreises hier in Aachen ist ein besonderes Ereignis für Deutschland und für Europa. Zahlreiche Persönlichkeiten sind gekommen, um dieses Ereignis zu würdigen; es ist mir eine große Ehre, dass Sie mich gebeten haben, heute aus diesem feierlichen Anlass das Wort zu ergreifen, um vor einem so ausgewählten Publikum über Dich zu sprechen, Angela.

Der Karlspreis ist sicherlich der renommierteste europäische Preis. Zum einen, weil sein Namensgeber der große Kaiser der Franken ist, der vor nunmehr 12 Jahrhunderten der vor nunmehr zwölf Jahrhunderten die Stadt Aachen zur ersten Hauptstadt Europas machte. Für den Bürgermeister von Aachen ist das sicherlich eine Verantwortung und eine große Ehre. Zwar wäre es übertrieben, Karl den Großen als ersten Begründer Europas zu bezeichnen – wo er sich doch wohl mehr als Erneuerer des römischen Reiches sah. Aber sein Reich war sicher nicht nur die gemeinsame Matrix, aus der das hervorging, was einmal Deutschland und Frankreich werden sollte; Karl der Große war über die Jahrhunderte hinweg auch und vor allem ein besonders anschauliches Beispiel für die Einheit in unserem so stark entzweiten Kontinent.

Angesichts der herausragenden Persönlichkeiten, die seit 1950 mit diesem Preis ausgezeichnet werden, ist es für Angela Merkel sicherlich eine große Ehre, nun in die Fußstapfen dieser außergewöhnlichen Menschen zu treten.

Ich will ganz offen zu Ihnen sprechen: Nach Deutschland zu kommen, in Deutschland über Europa zu sprechen, das ist für einen französischen Staatspräsidenten nicht einfach nur ein politischer Besuch wie alle anderen. Ich will heute zu Angela sprechen – über das, was sie verkörpert, über die Staatsfrau, die ich kenne; darüber hinaus will ich aber auch zu den Deutschen sprechen und ihnen sagen, dass ich mir voll und ganz der Verantwortung bewusst bin, die alle politischen Führungskräfte Deutschlands und alle politischen Führungskräfte Frankreichs tragen. Wir sind Freunde, wir sind Brüder, wir leben in Frieden. Das war nicht immer der Fall; jeder Staatspräsident Frankreichs und jeder Kanzler Deutschlands trägt diese Geschichte. Unsere Großväter haben sich gegenseitig umgebracht. Sie können sich also vorstellen, wie bewegend es für mich – wie für so viele andere Franzosen - ist, in Deutschland als Freund empfangen zu werden. Denn Deutschland und Frankreich sind heute Freunde, Freunde für immer.

Wir sind Freunde, weil es unsere Pflicht ist. Wir sind Freunde, weil wir keine andere Wahl haben. Wir sind Freunde, weil wir, Deutschen und Franzosen, als wir gegeneinander in den Krieg getreten sind, ganz Europa und die ganze Welt in die brutalsten Konflikte der Geschichte der Menschlichkeit verwickelt haben.

Ich bin also nicht nach Deutschland gekommen, um eine Kollegin zu unterstützen und zu ehren. Ich bin nach Deutschland gekommen mit dem Bewusstsein, dass die Nachkriegsgenerationen Deutschlands und Frankreichs eine historische Verantwortung tragen; ich bin gekommen, um zu sagen, dass wir das, was unsere Vorfahren erleben mussten, unseren Kindern unbedingt ersparen müssen. Aus diesem Grund bin ich hier.

Zwischen allen Ländern kann es Meinungsverschiedenheiten geben. Aber wenn Deutschland und Frankreich streiten, dann dürfen wir das nicht wie die anderen tun. Wenn wir Meinungsverschiedenheiten austragen, dann immer mit dem Ziel, Lösungen zu finden. Denn wir dürfen nicht zulassen, dass durch Missverständnisse oder Interessensunterschiede Gräben zwischen uns entstehen, die es zwischen Deutschland und Frankreich nicht geben darf.

Ich habe sehr viel von Angela Merkel gelernt. Die Presse spricht sehr viel über uns, das deutsch-französische Paar. Ich beglückwünsche Herrn Sauer, der heute hier ist, und möchte ihm sagen, dass er nicht alles glauben sollte, was in der Presse steht. Ich mag Angela Merkel mehr als, als manche schreiben mögen. Ich habe sehr viel von Angela Merkel gelernt. Vor allem habe ich verstanden, dass unsere beiden Länder eine grundverschiedene Struktur haben. Was ich damit meine: Die Kultur des Konsens, der Föderalismus, die Koalitionsbildungen sind eine Wirklichkeit - und sicherlich auch eine Stärke – die in Deutschland weitaus präsenter ist als in Frankreich.

Ich habe viel von Angela Merkel gelernt; sie hat immer wieder gesagt, vor dem Hintergrund ihrer ostdeutschen Herkunft habe sie gelernt, dass Hoffnung nur sehr langsam in Erfüllung geht.

Ich habe große Bewunderung für diese Frau aus dem Osten, die es an die Spitze der 27 Mitgliedsländer Europas und zugleich an die Spitze des vereinten Deutschland geschafft hat. Vielleicht, liebe Angela, liegt es an Deinen Wurzeln, dass Du mit solch einer Bescheidenheit auf den Weg zurückblickst, den Du bis heute gegangen bist. Dieser Weg ist ein Weg der Hoffnung für alle Europäer, der Weg einer jungen Frau - einst hinter dem Eisernen Vorhang und nur wenige Jahre später an der Spitze des vereinten Europa.

Und das in nur 30 Jahren, was für ein Weg! Das ist Dein Verdienst. Zu diesem Schicksal - Deinem Schicksal - müssen wir alle Europäer, vom einfachen Bürger bin hin zu unseren berühmtesten Persönlichkeiten, animieren: Was diese Frau aus dem Osten erlebt, erfahren und aufgebaut hat, könnten alle Europäer in ihren Tätigkeitsbereichen aufbauen, entwickeln und leben.

Ich habe Angela Merkel kennen gelernt, noch bevor sie Bundeskanzlerin wurde. Du warst mir auf Anhieb sehr sympathisch...vielleicht weil es bei Deinen Freunden manchmal genau so viele 3 Zweifel daran gab, ob Du es schafft als bei meinen, die ebenfalls an meinem Erfolg gezweifelt haben!

Erfolg ist immer etwas sehr schönes. Aber wenn dieser Erfolg nicht nur der eigene, sondern zugleich ein Sieg gegen die Gegner ist und sich auch trotz der [zweifelnden] Freunde einstellt, dann bedeutet dieser Erfolg noch viel mehr, weil er noch mehr verdient ist.

Als Du den EU-Vorsitz ausgeübt hast, musstest Du uns zusammenführen. Wenn ich hier bin, habe ich das Gefühl, am Herzschlag Europas zu sein. Ich komme aus einem Land, in dem 55 % der Bevölkerung Nein zum EU-Vertrag gesagt hat; trotzdem hat man mich gewählt, obwohl ich zu 100% Ja gesagt habe. Europas Krise musste beendet werden. Wir haben es geschafft, weil Angela Merkel unsere EU-Vorsitzende war und weil wir mit Angela alle vom vereinfachten Vertrag überzeugen konnten. Ich kann bezeugen, dass Angela Merkel während dieser langen Tage und Nächte des Verhandelns kein einziges Mal aufgegeben hat. Manchmal musste man wirklich Geduld haben. Spät nachts haben wir also zusammengesessen, um Lösungen zu finden. Und schließlich haben Angela Merkels Durchsetzungsvermögen, ihre Entschlossenheit, ihr Wille, ihr europäisches Engagement den Beschluss des vereinfachten Vertrags ermöglicht.

Einige Kollegen und Freunde, mit denen wir zusammengearbeitet haben, sind heute hier anwesend: Jan Balkanende, der niederländische Premierminister, José Manuel Barroso, ein Kommissionspräsident, der Europa alle Ehre erweist, Hans-Gert Pöttering als Vertreter des EU-Parlaments, Jean-Claude Juncker.....Auch Seine Majestät König Juan Carlos, der die Vorstellung von Demokratie in Spanien dahin gebracht hat, wo sie heute ist, will ich an dieser Stelle herzlich begrüßen. Wir haben uns alle dafür eingesetzt, dass das, was uns eint mehr Bedeutung gewinnt als das, was uns trennt.

Ich will Angela aber auch sagen, dass Europa sie noch dringend braucht. Denn der vereinfachte Vertrag allein hat die Krise zwischen Europa und den Europäern noch nicht beendet. Der Bürgermeister von Aachen hat sich zu Recht gefragt, wie es möglich ist, dass eine derart starke Idee, wie die europäische es ist, so sehr auf Kritik stoßen kann.

Dies festzustellen bedeutet nicht, sich gegen Europa auszusprechen, sondern vielmehr, Europa zu verteidigen. Wenn wir Europäer nicht in der Lage sind, klar festzustellen, wo Europa im Herzen der Europäer steht, dann werden wir nicht die richtigen Lösungen finden.

Die europäische Idee darf nicht nur der Elite sein, von Menschen, die sehr gebildet sind, viel in ihrem Leben erreicht haben, dafür ist zu schön, zu stark und derart richtig. Die europäische Idee ist richtig. Und eine richtige Idee muss von allen europäischen Völkern geteilt werden. Und hier liegt unsere Verpflichtung, gemeinsam mit Angela, darauf gebe ich Ihnen mein Wort; wir haben uns nicht gesagt: Wir haben den Vertrag auf den Weg gebracht, jetzt ist unsere Arbeit beendet!

Unsere Arbeit fängt jetzt erst an. Nach dem Referendum in Irland werden wir den Europäern zeigen, was Europa uns bringen kann.

Europa hat uns Frieden gebracht, Europa hat uns den wirtschaftlichen Fortschritt gebracht.

Aber heute müssen wir noch weiter gehen - bei der Migration, bei der gemeinsamen Verteidigung. Wir müssen der Naivität den Rücken kehren. Gerade weil wir Europäer sind, müssen wir Europa den Vortritt geben. Wir müssen viel einfordern für Europa. In diesem Sinne will ich Präsident Barroso ehren, denn selten zuvor war einen Kommissionspräsident so offen für die Sorgen der Europäer.

Wir müssen für Europa dasselbe einfordern, was Asien für sich einfordert, was die Vereinigten Staaten für sich einfordern. Europa muss für das Prinzip der Gegenseitigkeit kämpfen. Europa muss der Naivität den Rücken kehren. Europa muss sich in der Pflicht sehen, alle Europäer mit ins Boot zu holen. Denn was bringt es, wenn wir uns einmal im Jahr hier in Aachen sagen, das es richtig ist, was wir machen? Richtig ist es dann, wenn wir es schaffen, alle zu überzeugen.

Es ist ein großes Glück für mich, mit Angela Merkel Hand in Hand arbeiten zu können. Ich habe große Achtung vor dieser Frau; sie ist eine mutige, eine intelligente Frau. Innerhalb von 12 Monaten, Herr Sauer, haben wir uns 12 Mal getroffen. Und angesichts ihres vollen Terminkalenders wäre es spannend, Herr Sauer, die Anzahl unserer Begegnungen mit ihr zu vergleichen.

Sie Sehen also, meine Damen und Herren, Angela Merkel und ich, wir sind ein harmonisches Paar. Wir haben Ambitionen für Frankreich und für Deutschland.

Ich will Ihnen sagen, liebe deutschen Freunde, dass die Franzosen sehr große Bewunderung für das haben, was Sie bei Ihnen in Deutschland erreicht haben.

Liebe Angela, viele Franzosen waren tief gerührt von der beeindruckenden Rede, die Du jüngst in der Knesset in Israel gehalten hast. Jedes Land, liebe deutschen Freunde, hat eine schmerzhafte Geschichte. Aus dieser Geschichte haben Sie eine der schönsten Demokratien der Welt gemacht. Wenn die Bundeskanzlerin vor dem Hintergrund dieser Geschichte nach Israel geht und das sagt, was sie gesagt hat, dann ist ganz Europa stolz auf Deutschland, auf die Deutschen, auf Angela Merkel. Denn was Du gesagt hast, musste gesagt werden.

Ich bin ich hier her gekommen, um Deutschland im Namen Frankreichs meine Freundschaft auszusprechen, um dem gesamten Karlspreiskomitee zu sagen, dass ich mich mit Leib und Seele für die europäische Sache einsetze und dass ich mir der Verantwortung bewusst bin, die ich trage, wenn Frankreich ab Juli den EU-Ratsvorsitz übernimmt. Frankreich wird nicht für sich, Frankreich wird für Europa arbeiten, denn die Aufgabe einer europäischen Ratspräsidentschaft ist es, für Europa zu arbeiten und nicht für das Land, in dessen Namen die EU-Präsidentschaft ausgeübt wird.

Wenn Sie erlauben, will ich schließlich Angela Merkel meine Zuneigung, meine große Freundschaft, meinen Respekt und auch, liebe Angela, meine Bewunderung aussprechen, die alle Deine Freunde teilen, die hier sind.

Ich danke Ihnen.